■ Press-Schlag
: Die wilde Jagd nach Devotionalien

Der alte Mann auf der Bühne bessert seine Rente auf. Ein Autogramm der kanadischen Eishockey-Legende Maurice Richard kostet sieben Dollar, knapp zehn Mark. Die Nachfrage wird durch den saftigen Preis nicht gemindert. Vor der Bühne haben sich Hunderte von Teenagern angestellt, um den begehrten Namenszug „Rocket Richard“ zu erwerben. Der Pensionär schaut in glänzende Gesichter. Rocket Richard macht mit dem Kugelschreiber heute mehr Geld als seinerzeit mit dem Eishockeyschläger. Doch unziemliche Habgier unterstellt dem rüstigen Renter bei der „Sports Collector's Trade Show“ in Vancouver niemand. Jeder betrachtet die sieben Dollar als sichere Investition, die sich schnell rentieren wird, sobald Rocket Richard mangels irdischer Anwesenheit keine Autogramme mehr geben kann.

Im Handel mit sportlichen Devotionalien werden in den USA und Kanada jährlich Milliarden umgesetzt. Gesammelt, verkauft, versteigert und getauscht wird so ziemlich alles, was die Stars in Ausübung ihres Berufes durchgeschwitzt oder in die Hand genommen haben: Trikots, Schuhe, Baseballschläger, Fanghandschuhe, Kappen, Schlittschuhe. Einer geradezu abnormen Wertsteigerung erfreuten sich Sammelkarten, auf denen die Baseball-, Eishockey-, American Football- und Basketballspieler der Profiligen abgebildet werden. Um die Jahrhundertwende begannen Zigaretten- und Kaugummihersteller, Konsumenten zu ködern, indem sie ihren Produkten Abbildungen von Sportstars beifügten.

Aus dem harmlosen Hobby weißer Teenager wurde in den achtziger Jahren allerdings ein boomendes Geschäft, als sich zu den heißblütigen Sammlern kühle Spekulanten gesellten, die die Preise für Raritäten in vorher unbekannte Höhen trieben. Vor zwei Jahren ersteigerte der Eishockey-Star Wayne Gretzky bei einer Sotheby's- Auktion die Honus-Wagner- Baseball-Karte, Jahrgang 1909, für unerhörte 451.000 Dollars. Die explodierenden Preise im Jahrzehnt der Yuppies und Junk-Bonds schufen nach dem Urteil des sammelnden Journalisten Kerry Banks „eine Legion von Kindern mit der Mentalität von Börsenmaklern“.

Seit sich herumgesprochen hat, welche atemberaubenden Gewinne sich erzielen lassen, sind die Karten nämlich kein Spielzeug mehr. Eselsohren, Flecken und Kratzer machen sie auf dem Sammlermarkt praktisch wertlos. „Es ist kein Spiel mehr, sondern es geht nur noch um Geld“, klagt Lloyd McKenzie aus Vancouver. Auch er verwahrt seine besten Stücke inzwischen in stabilen Etuis.

„Die heutigen Youngsters sind sich des künftigen Werts ihrer Karten sehr bewußt“, meint Norman Liss, Sprecher beim Marktführer Topps. Die Firma aus Brooklyn druckt nach eigenen Angaben jährlich mehr als eine Milliarde Baseballkarten, nach inoffiziellen Schätzungen ein Vielfaches dieser Zahl. In feiner Nostalgie fügt das Süßwarenunternehmen jedem Kartenpaket noch einen – nahezu geschmacklosen – Kaugummi bei, doch das Geschäft hat sich längst auf die Karten verlagert.

Derzeit ist der überhitzte Markt jedoch zusammengebrochen, nachdem immer mehr Hersteller immer mehr Kartenkollektionen herausgebracht hatten. Hersteller und Händler blieben auf den Karten sitzen, Preise verfielen, und viele der zahlreichen Sammler-Shops gingen in Konkurs. Nicht jeder hat in dieser Boomzeit sein Glück gemacht. Der heute 41jährige Kanadier Peter Nattrass denkt mit Wehmut an jenen kompletten Satz Bowman- Cards aus dem Jahre 1949, den er als Zehnjähriger bei einem Tausch erstand und der ihm heute 20.000 Dollar einbringen würde – wenn er ihn noch hätte. „Meine Mutter hat die Karten verbrannt, als ich auszog“, klagt McKenzie. „Von dem Geld könnte ich mir heute die Anzahlung auf ein Eigenheim leisten.“ Mancher heutige Teenager wird in 20 oder 30 Jahren dasselbe über sein 1993 für preiswerte sieben Dollars erstandenes Autogramm von Rocket Richard sagen. Olaf Krohn