Der Stempel der Illegalität

Die Arbeit der Ökumenischen Asiengruppe mit ausländischen Prostituierten: Strukturelle Schranken sind die mangelnden Perspektiven  ■ Von Jutta Wache

In einer der letzten Ausgaben des Spiegel (34/1993) wird in einem Bericht, der reißerisch mit einem nur den Voyeurismus fördernden Foto aufgemacht ist, Frauenhandel und Zwangsprostitution am Tatort Deutschland angeprangert. Es geht darin um Menschenhändler, die in Osteuropa einen neuen, billigen Sklavinnenmarkt erschließen. Menschenhändler, die osteuropäische Frauen „in Geheimbordellen brutal zur Prostitution“ zwingen. Sicher, es gibt diese Frauenhändlerringe – und sie sind Bestandteile des organisierten Verbrechens. Aber dies ist nur ein, wenn auch schlagzeilenträchtiger Aspekt. Die Probleme von ausländischen Prostituierten in der BRD sind komplexer und deshalb differenzierter zu behandeln.

Als Beratungsstelle für asiatische Frauen im Frankfurter Westend kümmert sich die Ökumenische Asiengruppe auch um die Probleme und Belange von Prostituierten aus Südostasien, die in den Bordellen tätig sind. Nach unserer Erfahrung arbeiten die Frauen nur in Einzelfällen in absoluten Zwangsverhältnissen für Zuhälter. Die meisten der Frauen, denen wir bei der Streetwork begegnen oder die sich hilfesuchend an die Beratungsstelle wenden, sind mit der Absicht, sich zu prostituieren, hierhergekommen und arbeiten auf eigene Reichnung. Sie haben sich nicht von den Schulden abschrecken lassen, die die Kosten für die Reise verursachten. Sie haben schöngefärbten Versprechungen über Verdienstmöglichkeiten und Arbeitsbedingungen in Europa vertraut. Nun finden sie sich in Verhältnissen wieder, die sie als illegal arbeitende und hochverschuldete Frauen erpreßbar und abhängig machen.

Sie sind Opfer der neokolonialien Nord-Süd-Ausbeutungsverhältnisse, die ihnen ein Leben ohne Armut im Heimatland unmöglich machen. Aber sie sind ebenfalls eigenständig handelnde Subjekte, die sich als Überlebensstrategie für sich und ihre Familie dazu entschieden haben, ihren Lebensunterhalt durch Prostitution zu sichern. Wie können wir diese Frauen unterstützen? Unser Angebot kann nur sehr begrenzt sein. Die Gelder, die dem Verein vom Land Hessen, dem Frauenreferat der Stadt Frankfurt und kirchlichen Trägern zufließen, lassen gerade mal eine Besetzung mit drei hauptamtlichen Teilzeitkräften zu. Viel gewichtiger sind aber die strukturellen Schranken, denn wir können den Frauen nur wenige längerfristige Perspektiven bieten.

In der Arbeit der Beratungsstelle geht es darum, ihre Isolation aufzubrechen, die Angebundenheit ans Bordell, in dem sie arbeiten und gleichzeitig wohnen. Die direkte persönliche Ansprache durch eine Landsfrau ist zentraler Ausgangspunkt für eine sinnvolle Sozialarbeit. Sie kann Vertrauensverhältnisse herstellen. Wir bieten in dieser Art Streetwork unsere Gesprächsbereitschaft an, die Beratung in Not- und Krisensituationen und Begleitung und Beistand in Behördenangelegenheiten.

Oft ist nur dolmetschen vonnöten. Die unzulänglichen Sprachkenntnisse sind ein wesentliches Problem gerade für Thailänderinnen. Im Gegensatz zu Filipinas, die meistens Englisch- oder Spanischkenntnisse haben, verfügen die thailändischen Frauen oft nur über wenige deutsche Brocken aus dem Bordellalltag. Die Asiengruppe bietet seit Jahren Deutschintensivkurse für Anfängerinnen und Fortgeschrittene an.

Die gesundheitliche Versorgung ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt – und beleuchtet nochmals die spezielle Situation von Prostituierten aus Dritte-Welt-Ländern. Es ist wohl überflüssig zu betonen, daß sie in der Regel nicht krankenversichert sind. Die Untersuchungsstelle für Geschlechtskrankheiten des städtischen Gesundheitsamtes, wo Prostituierte kostenlos ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen können, ist in Frankfurt bereits über ein halbes Jahr unbesetzt und deshalb geschlossen. Mit der Einstellung einer Gynäkologin ist laut Auskünften der Behörde zwar bald zu rechnen. Als Tatsache bleibt jedoch bestehen, daß ausländische Prostituierte in Frankfurt bereits über einen sehr langen Zeitraum ohne eine für sie zugängliche ärztliche Versorgung auskommen müssen, in der die Untersuchung kostenlos ist und eine Landsfrau als Dolmetscherin zur Verfügung steht.

Alltagspraktische Hilfe kann aber nur ein Aspekt sein, die Lebens- und Arbeitsbedingungen für ausländische Prostituierte zu verbessern. „Ausstiegshilfen sind ein weiterer, aber prekärer Punkt. Die Schulden hier und im Heimatland lassen den Frauen oft nicht die Wahl auszusteigen. Umschulungsmaßnahmen, wie sie deutschen Prostituierten angeboten werden können, sind mit Auflagen verbunden, die sie in der Regel nicht erfüllen. Beantragen sie Sozialhilfe, können sie ausgewiesen werden. Nach unserer Erfahrung schaffen sie den Ausstieg nur, wenn sie vom Ehemann oder Freunden materiell unterstützt werden.

Einen radikalen Ausstieg gibt es für sie meist nur durch die Abschiebung, wodurch ihre Probleme natürlich nicht gelöst, sondern noch verschlechtert werden. Eine Zufluchtswohnung – ein bereits seit langem geplantes, aber wegen des engen Frankfurter Wohnungsmarktes und der Finanznot noch nicht realisiertes Projekt der Asiengruppe – wäre eine Möglichkeit, kurzfristige Notlösungen außerhalb des Milieus zu schaffen. Sie könnte die soziale Isolation aufbrechen und den Frauen Raum für ein Stück Selbstbestimmung bieten.

Ein Dreh- und Angelpunkt für humanere Lebens- und Arbeitsverhältnisse von Prostituierten aus den Nicht-EG-Staaten ist das in der BRD praktizierte Ausländerrecht. Dieses Gesetz drückt ihnen den Stempel der Illegalität auf. Nur die Ehe mit einem Deutschen gibt ihnen gewisse Sicherheit vor dem Zugriff der Ausländerbehörden, schafft aber Abhängigkeiten von Ehemännern und Heiratsvermittlern.

Prostitution ist nach dem neuen Ausländerrecht zwar kein Ausweisungsgrund. Prostituierte können aber nach wie vor ausgewiesen werden, wenn sie gegen eine geltende Rechtsvorschrift oder gegen eine – wie es im Juristendeutsch heißt – die Gewerbsunzucht betreffende Verfügung verstoßen. Die Anwendung dieser Gesetzesregelung kann Tolerierung oder Ausweisung bedeuten, das steht ganz im Ermessen der Behörden.

Die in Frankfurt gängige Praxis im Zuge der Durchsetzung der Sperrgebietsverordnung sind Polizeiaktionen und Großrazzien. Zwar soll deren Ziel primär sein, gegen Bordellbetreiber sowie Schlepper und Frauenhändler vorzugehen, sie richten sich letztendlich aber immer gegen die Frauen. Diese werden in eine ausweglose Situation gebracht, weil sie wegen geringfügiger Verstöße gegen das Ausländergesetz kriminalisiert, ausgewiesen und abgeschoben werden.

Den Bordellbetreibern droht bestenfalls ein Verfahren wegen Beihilfe zum Verstoß gegen das Ausländergesetz. Und den Hintermännern wird noch in die Hände gearbeitet, da für jede ausgewiesene Frau sofort Ersatz eingeschleust wird. Das schwächste Glied in der Kette wird bestraft und nur ganz selten diejenigen, die von ihrer Abhängigkeit profitieren und an ihnen verdienen. Jutta Wache

Ökumenische Asiengruppe

Kontakadresse: Ökumenische Asiengruppe e.V., Beratungsstelle für Frauen, Feuerbachstraße 31, 60325 Frankfurt/Main,

Telefon: 72 01 33/3