■ Der Verteidigungsminister hat nun einen zweiten Amtssitz
: Rühe im Bendlerblock

Wer immer den Einfall gehabt hat, die Bendlerstraße im Berliner Bezirk Tiergarten auf das Reichpietschufer münden zu lassen, dem Mann kann Talent für Sarkasmen nicht abgesprochen werden. Reichpietsch war einer der hingerichteten Führer des Kieler Matrosenaufstands zu Ende des Ersten Weltkriegs, die Bendlerstraße hingegen beherbergte zum gleichen Zeitpunkt das Marineamt unter der Leitung jenes Großadmirals Tirpitz, der das Völkergemetzel maßgeblich mitzuverantworten hatte.

1953 wurde dieser erpreßten Versöhnung ein Ende gemacht und die Bendlerstraße in Stauffenbergstraße umbenannt. Im „Bendlerblock“ hatte nach 1918 das Reichswehrministerium, nach 1933 der Generalstab, die Abwehr und das Oberste Kommando des Heeres beziehungsweise der Wehrmacht logiert. Hier entstanden die Planungen, die später unter dem Titel „Vorbereitung von Angriffskriegen“ auf dem Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunal abgeurteilt wurden. Hier arbeiteten aber auch Stauffenberg und seine Freunde Olbricht und von Quirnheim, allesamt Teilnehmer des 20. Juli 1944 und nach dem Fehlschlag des Attentats auf Hitler Opfer der nazistischen Rache. Stauffenberg wurde mit einigen der Verschwörer im Innenhof des Bendlerblocks erschossen. Heute ist an dem düsteren Ort eine Gedenkstätte eingerichtet.

Diesen Bendlerblock nun hat Verteidigungsminister Rühe zum zweiten Amtssitz des Ministeriums bestimmt. In seiner Begründung identifiziert Rühe den militärischen Widerstand gegen Hitler mit dem Genius loci der militärischen Kommandozentrale. Ganz so, als ob die Tätigkeit des deutschen Generalstabs im wesentlichen darin bestanden hätte, den Sturz der Hitlertyrannei vorzubereiten. Stauffenberg hat als einer der wenigen Offiziere des Deutschen Reiches nicht nur mit Hitler gebrochen, sondern exakt mit jener militärischen Tradition, die in der Bendlerstraße ihren Sitz hatte und die schließlich zur Nemesis Preußens führte. Er durchschaute den Korpsgeist, der sich Hitlers zuerst bedienen wollte, um dann, als die Niederlage Deutschlands offensichtlich war, noch nicht einmal den Mut zu entschlossenem Handeln gegen den Tyrannen aufzubringen. Es ist dieser Gestank aus den Ingredienzen von Selbstsucht, Dünkelhaftigkeit und Feigheit, der unvertilgbar in jeder Ritze des verfluchten Bauwerks west.

Aber mag Rühe mit der Unverfrorenheit, die ihn seiner Partei so unentbehrlich macht, noch so oft Stauffenberg bemühen, mag er sich selbst im Dienstzimmer des Grafen im Bendlerblock einnisten, es hilft nichts, der eigentliche Zweck dieses Umzugs ist offenbar: Anschluß an die militärischen Traditionen deutscher Macht und deutscher Größe. Ohne die geht's nun mal nicht, soll der gestiegenen Verantwortung Deutschlands in der Welt auf angemessene Weise nachgekommen werden. Christian Semler