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Friedliche Landnahme

Europäische Museen in Entwürfen, Modellen und Fotografien: Warum „Räume für Kunst“ nötig sind, warum die gleichnamige Ausstellung weiter touren sollte, erläutert  ■ Friedrich Meschede

Jetzt, wo von Berlin aus ein kulturpolitisches Szenario die Theaterlandschaft neu vermißt, wo von Frankfurt aus das einflußreichste tägliche Feuilleton den lang geleugneten Schulterschluß mit tief konservativen, skeptischen Überlegungen gegenüber zeitgenössischer Kunst offenlegt: Jetzt wird eine Ausstellung wichtig, die eigentlich wenig spektakulär ist und die Augenlust nicht unmittelbar befriedigt. Sie wurde vom Förderverein der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst unter der Leitung von Klaus Werner zusammengestellt und initiiert, um neue Museumsarchitektur – verwirklichte Beispiele und geplante Projekte – vorzustellen. Die Ausstellung trägt den Titel „Räume für Kunst“, und die suchen auch die neuen Bundesländer, deshalb geht die Forderung von Leipzig aus. Nach einer Präsentation in der Bundeskunsthalle in Bonn, die als Modell zugleich Teil der Präsentation ist, kam diese Versammlung zahlreicher Modelle mit begleitenden Architekturzeichnungen über Graz und Groningen zur Kestner- Gesellschaft nach Hannover. Mit der Absicht, die jeweils lokal anstehenden Projekte in die Ausstellung zu integrieren, erweiterte jede Station das Material um das eigene Projekt. In Hannover steht der Umzug in das für die Kunst erschlossene ehemalige Schwimmbad Goseriede bevor. Dies verdeutlicht die Kettenreaktion zahlreicher Initiativen zu Museumsbauten, die in den letzten zwanzig Jahren stattgefunden hat, nachdem mit dem Bau des Sprengel- Museums (ebenfalls in Hannover, 1979) der Anfang gemacht wurde.

In der Ausstellung lassen sich anhand der Modelle zwei Entwicklungslinien ausmachen, Räume für Kunst zu schaffen. Einerseits ist es die Nutzung ehemals industriell geprägter Gebäude; die historische Architektur wird umfunktioniert zu Ausstellungshallen, wie dies in Bremen (Weserburg), Hamburg (Deichtorhallen) und Berlin (Hamburger Bahnhof) passiert. Die Kunst tritt bei diesen Beispielen wie ein Denkmalpfleger auf, und sie kennzeichnet zugleich den tiefgreifenden strukturellen Wandel sowohl in der Produktion der Industrie als auch im gesellschaftlichen Selbstverständnis der Kunst, die zum Freizeit- und Imagefaktor geworden ist. Der andere, zahlenmäßig überwiegende Teil der Ausstellung präsentiert die Projekte mehr oder minder renommierter Architekturbüros, die das Museum als die neue Bauaufgabe der achtziger Jahre darstellen. Darunter sind auch die Visionen einzelner Künstler wie Donald Judd und Frank Stella zu sehen, die hier erstmals als Architekten auftreten mit Plänen für Bregenz und Dresden.

Carl Haenlein, der Direktor der Kestner-Gesellschaft, weist in seinem Vorwort zum Katalog zu Recht darauf hin, daß es den einen, idealen Raum für Kunst nicht gibt, daß es statt dessen aber sehr wohl Maßstäbe einer Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Kuratoren gibt, die die Räume für Kunst in ihrer Gegensätzlichkeit und Vielfalt nutzen können. Das Museumsgebäude, das dem 19. Jahrhundert entstammt, wollte den Anspruch einer Bildungseinrichtung zum Ausdruck bringen, die ihre Wurzeln bis in die Antike zurückverfolgt, das Museum war Tempel. Der Museumsbau der Gegenwart will dagegen eher ein Ort der Kommunikation sein, wo ästhetische Informationen zugänglich und ausgetauscht werden, was auch auf Bildung zielt, nur weniger dogmatisch.

Die unverkennbare „Landnahme“ der Kunst (Haenlein) hilft auf der einen Seite bei der Nutzung historischer Bausubstanz, was dazu beträgt, die Urbanität der Städte zu erhalten. Auf der anderen Seite bewirkt sie, neue Architektur zu schaffen, mit der geradezu emblematisch eine neue Lebensqualität der Städte erzielt wird. Räume für die Kunst sind Räume für die Öffentlichkeit, und nur in dieser Öffentlichkeit kann sich eine Lebensqualität entwickeln, die sich deutlich abgrenzt von der Sphäre des Privaten. Somit liegt in diesen Modellen öffentlicher Lebensräume ein hohes Maß an Identifikationsmöglichkeiten verborgen, die einer urbanen Gemeinschaft und politischen Gesellschaft nur dienen können. Eine friedliche, immer noch kostengünstige und sinnvolle Landnahme hat sich da ausgeweitet. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen erscheint es sehr kurz gedacht, unter dem Eindruck der derzeitigen wirtschaftlichen Krise ausgerechnet dann Projekte zu streichen, wenn diese Orte als Identifikations- und Integrationsmodelle gebraucht werden, so wie in München und Nürnberg; in Frankfurt steht die Drohung in den Schlagzeilen.

Die Ausstellung in Hannover kann mit ihren Modellen und Zeichnungen, die dort dem Kriterium einer ästhetischen Auswahl folgen, nur Spezialisten eine Vorstellung von den Räumen vermitteln, die einmal Kunst zeigen und beherbergen sollen. Aber jede Ausstellung dieser Art, das zeigen auch die Entwürfe zu Spreebogen und Reichstag in Berlin, präsentiert sprödes Material, kleine Modelle auf Sockeln, die wie Inseln im Ausstellungsraum erscheinen und damit ihrem visionären Charakter gerecht werden. Die tatsächlichen Proportionen, Materialien, Formen und Ausmaße der Architektur können nicht vermittelt werden. Schließlich kann auch die heutige Architektur nicht die Formensprache entwickeln, die ein Gebäude eindeutig für die Zwecke der Kunst zu erkennen gibt; die Architektur selbst will Kunst sein. Es gibt nicht mehr die sprechende Architektur, die die Funktion als Museum unmittelbar erkennen läßt. Erst die Codierung als Museum macht das Kunstwerk des Architekten zur Hülle für andere Kunstwerke, die, die traditionell als solche gelten. Gerade die Initiatoren der Ausstellung wußten das, denn das Kunstmuseum in Leipzig war in den vergangenen Jahren in einem Gerichtsgebäude untergebracht, das sie bald räumen müssen. Der Förderkreis nutzt verschiedene Einrichtungen der Stadt, um seine Aufgaben darzustellen.

Es ist ein Verdienst der Ausstellung, daß sie Projekte integriert hat, die außerhalb Deutschlands angesiedelt sind. In den Niederlanden (Maastricht und Groningen), Frankreich (Nimes) und Österreich (Klagenfurt, Graz und Salzburg) werden kulturelle Zentren gebaut, die die Arbeit auf diesem Gebiet als ein europäisches Netzwerk darstellen. Es erscheint eine Angebotsvielfalt, die den vielfältigen Denkmodellen der Kunst und ihrer Architektur entspricht. Dieser Zusammenhang ist wichtig, um so zu erkennen, daß mit einer blindwütigen Streichung solcher Projekte nicht allein im wirtschaftlichen Raum der Kosten-Nutzen- Rechnung der Industriestandort Deutschland gefährdet ist, sondern auch auf geistesgeschichtlichem Gebiet der Kulturstandort Deutschland. Deshalb sollte die Ausstellung von Hannover aus weiterziehen, um die Landnahme der Kunst in anderen Städten voranzutreiben.

Kestner-Gesellschaft Hannover, bis zum 12. September

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