■ Ende der Ermittlungen gegen GSG-9-Beamte?
: Jedem seine Tatversion

Es kann in einem Rechtsstaat einen schlimmeren Verdacht kaum geben, warnten vor Wochen der Republikanische Anwaltsverein, die Humanistische Union und die Vereinigung Demokratischer Juristen: Wenn ein bereits wehrunfähiger Mensch durch Polizeibeamte zielgerichtet getötet wurde, dann bedeute dies, daß die von der Verfassung zu Recht verbannte Todesstrafe in einem Akt der Selbstjustiz noch am Tatort praktiziert wurde. Die Mahnung der Juristen, daß eine mangelnde Aufklärung der Umstände der wilden Schießerei in Bad Kleinen das Recht der Öffentlichkeit auf die Kontrolle staatlichen Handelns und damit letztlich auch die Legitimation des Staates in Frage stellt, fruchtete aber nicht. Die von den drei Vereinigungen angesichts der dilettantisch betriebenen Spurensicherung geforderte internationale Kommission zur Untersuchung der Bad Kleinener Geschehnisse kam nicht zustande.

Es kommt, wie es kommen mußte: Über die erhebliche Frage „Wie hält es der Staat mit seinen militanten KritikerInnen?“ soll nun entscheiden, aus welcher Distanz ein Bauchschuß auf das RAF-Mitglied Wolfgang Grams abgegeben wurde. Betrug diese weniger als 90 Zentimeter, wird gegen die GSG-9-Beamten weiter wegen Totschlags ermittelt, bleibt damit weiter vorstellbar, daß der bereits wehrlose Grams von der Staatsmacht regelrecht hingerichtet wurde. War die Entfernung aber auch nur ein paar Zentimeter größer, wird dieser Verdacht verneint, wird nicht nur die Elitetruppe des BGS freigesprochen. Der Vorwurf, der Staat könnte sich quasi mit den Mitteln der RAF der RAF entledigen, wird in das Reich linksradikaler Phantastereien verwiesen. Die surreale Logik dabei: Der schlimme Verdacht wird mit der Behauptung entsorgt, daß er sich nicht mehr erhärten läßt – und das, wo doch die Strafverfolgungsbehörden die Verantwortung dafür tragen, daß die Indizien vernichtet wurden, die eine genaue Rekonstruktion der Todesumstände von Grams zugelassen hätten. Widersprüchliche Indizien und Aussagen bleiben als Ergebnis im Raum stehen. Sie scheinen einen Selbstmord ebenso auszuschließen wie einen Unfall – oder eine Hinrichtung.

So wird sich nun jeder die ihm genehme Version zu eigen machen. Der eine wird von Mord, der andere von Selbstmord reden. Das gab es schon einmal, im Herbst 1977, als sich die genauen Todesumstände der RAF-Gefangenen Baader, Ensslin und Raspe nicht klären ließen. Schon vergessen, welche Bedeutung der damalige Glaubenskrieg für die weitere Entwicklung der Bundesrepublik hatte? Wolfgang Gast