■ Der langsame Wiederaufbau des russischen Imperiums
: Jelzin und das neue Jalta

In den letzten Tagen herrschte in der Öffentlichkeit des Westens Befriedigung angesichts des Kompromisses, mittels dessen Jelzin und sein ukrainischer Amtskollege Krawtschuk die Differenzen zwischen beiden Ländern beigelegt hatten. Daß aber dieser „Kompromiß von Jalta“ keiner war, kann man schon daran leicht erkennen, daß Jelzin zu Hause dafür gelobt, Krawtschuk dagegen heftigst attackiert wurde. Tatsache ist: Die Ukraine hat in Jalta einen Machtverlust hinnehmen müssen, dessen innenpolitische Auswirkungen unabsehbar sind. Seit der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine war Krawtschuks Ansehen als Hüter der Souveränität selbst bei der nationalistischen „Ruch“-Bewegung so sehr gestiegen, daß diese sogar dazu neigte, den Präsidenten beim anstehenden Referendum zu unterstützen. Jetzt droht Krawtschuk das Verdikt, die ukrainischen Interessen an Moskau verschleudert zu haben.

Krawtschuk hatte allerdings kaum eine andere Wahl. Seit Monaten geht der ukrainische Export nach Rußland zurück, seit Monaten hat die Ukraine keine Rubel, mit denen sie russische Rohstofflieferungen bezahlen könnte. Die Hoffnungen, über Transitgebühren auf russische Gasexporte in den Westen an Devisen zu kommen, hat sich zerschlagen. Die Pipeline, die Rußland und Polen mit westlichen Krediten bauen wollen, führt durch Weißrußland. Sie soll, so vermutet Kiew zu Recht, später einmal die ukrainische Leitung ersetzen. Und zu guter Letzt hat Jelzin die Ukraine mit einer geschickten außenpolitischen Initiative buchstäblich ausmanövriert.

Die vom russischen Präsidenten demonstrierte Bereitschaft, die Staaten westlich des Bugs in die Nato zu entlassen, war eine strategische „Frontbegradigung“. Mit diesem Schachzug machte Jelzin die Hoffnungen der Ukraine und Weißrußlands zunichte, zusammen mit den ostmitteleuropäischen Staaten ein alternatives Sicherheitskonzept zu entwickeln, das die Unabhängigkeit dieser Staaten gegenüber Rußland hätte absichern können. Jelzins Jawort war der Preis für die Möglichkeit, die ukrainische Unabhängigkeit rückgängig zu machen. Die Interessensphären sind abgesteckt: Die der Nato reicht künftig bis zum Bug, dahinter beginnt die russische Sphäre.

Zweitrangig ist dabei, ob man das eine Rückkehr zu Jalta oder die weise Selbsterkenntnis Jelzins nennt, daß Rußland nicht mehr die Kraft hat, seine Interessen in ganz Osteuropa wahrzunehmen, und sich deshalb auf die GUS als Einflußgebiet beschränkt. Die Ukraine hat nun lernen müssen, daß die äußeren Attribute der Souveränität wenig wert sind, wenn die Wirtschaft darniederliegt und das Land international isoliert ist. Auch der Versuch, die Atomwaffen in die Waagschale zu werfen, ist in Jalta gescheitert: Krawtschuk vereinbarte mit Jelzin, daß diese in Rußland demontiert werden und die Ukraine dafür russisches Uran für Atomkraftwerke erhält. Die Schwarzmeerflotte bleibt russisch und damit aller Voraussicht nach auch Sewastopol. Rußlands Militärs haben bereits erklärt, sie würden der Ukraine gerne beim Aufbau einer eigenen Flotte helfen, und empfehlen Kiew einen Militärpakt mit Rußland. Das Szenario ist bekannt: In Minsk läuft die demokratische Opposition seit Monaten gegen einen solchen Pakt Sturm. Auch in Kiew galt die militärische Integration in die GUS bisher als Anfang vom Ende der Unabhängigkeit.

Die westlichen Regierungen feiern Jelzins außenpolitischen Erfolg, stärkt er den russischen Präsidenten doch gegenüber seinen nationalistischen Widersachern. Vergessen wird dabei, daß dem Westen am Wiedererstehen eines russischen statt sowjetischen Imperiums von Grodno bis Sewastopol nicht gelegen sein kann. Nicht einmal dann, wenn es von Jelzin beherrscht wird. Schließlich weiß niemand, wer nach ihm kommt. Die Reaktionen der westlichen Staatskanzleien folgen einer ausgetretenen Spur: Schon vor Jelzin war für den Westen gut, was Gorbatschow half. Zu spät erkannte man im Westen, daß die Unabhängigkeit der Ukraine und Weißrußlands eine Garantie gegen das Wiedererstehen des Imperiums ist. Eine Warnung auch für die baltischen Länder, bei ihrem Streben nach wirklicher Unabhängigkeit keine allzu großen Hoffnungen auf westliche Unterstützung zu setzen. Klaus Bachmann