Der Bodyguard der Opalka-Bilder

■ Arthur Ketnath ist Restaurator im Neuen Museum Weserburg / Er klebt nicht nur Fädchen, sondern verreist auch mit seinen Schützlingen

Kunstwerke sind sensibel. Vor jeder Reise Gesundheits- Check. Unterwegs Sicherheitskontrollen. Am Ziel behutsame Akklimatisierung. Geleitschutz gewähren dabei Museumsrestauratoren. Zum Beispiel Artur Ketnath, Spezialist für moderne Kunst und seit 1990 Leiter der Restaurierungabteilung am Neuen Museum Weserburg in Bremen.

Ein Restaurator, der im stillen Museumskämmerlein penibel mit Pigmenten hantiert und Schadstellen repariert — solche Vorstellungen sind für den gebürtigen Münchner Klischee. Manche Kollegen beschäftigen sich fast ausschließlich mit fachgerechtem Aufhängen, Beleuchten und Klimatisieren von Kunstwerken. Er selbst arbeitet regelmäßig außer Haus. Beim Auf- und Abbau von Wanderausstellungen. Seit das Neue Museum Weserburg zum Beispiel eine eigene Roman-Opalka-Retrospektive auf Reisen schickt, begleitet der 50jährige die Gemälde des polnischen Konzeptkünstlers nach Paris, München, Wien und Göppingen.

Der Restaurator von heute also kein zurückgezogener Ein

zelkämpfer, sondern Vernissagebesucher in den bedeutenden Museen zeitgenössischer Kunst? Nein. Wenn Vernissage gefeiert wird, ist Ketnath längst zurück auf dem Teerhof. Dort hatte er zuvor die großformatigen Opalka-Bilder behutsam mit Pergaminpapier abgedeckt, in Luftpolsterfolie eingeschlagen und in isolierte Kisten gesteckt. Im luftgefederten Lkw einer Berliner Kunstspedition sorgt er dafür, daß die empfindlichen Kunststücke aufrecht und in Fahrtrichtung gebettet werden. „Jedes Bremsen würde sie sonst in Vibration versetzen.“

Am Ziel packen Restaurator und Künstler schießlich gespannt aus. Opalka hängt die Bilder. Erst jetzt wird das Pergaminpapier von der Pigmentoberfläche abgezogen. Mit Lupe, Scheinwerfern und weißen

hier Mann mit Brille und Schnauz

Handschuhen fahndet Ketnath nach Transportschäden — „keine witzige Arbeit“. Gute acht Stunden dauert es, die Oberfläche der 35 Gemälde im Streiflicht nach Verletzungen abzusuchen.

„Eine solche Tournee kann schlimme Folgen haben“, so der Weserburg-Mann. Als im vergangenen Jahr bei einem Schneesturm Feuchtigkeit durchs Oberlicht eines Museums kam, wurden die Opalka- Bilder „in einer Schnellaktion“ abgehängt. Ketnaths Fahndungsergebnis: „Puffe und Schrammen“. Der Schuldige: das Museum. In einem anderen Haus wurde an den Bildern herumgefingert. Der Befund: „Farbabrieb, Fettflecken und Wischspuren, die praktisch nicht restaurierbar sind“. Schuld diesmal Besucher. Hinzu kommen

Mikrorisse, die erst nach Jahren sichtbar werden. Die „Zustandsdokumentation“ des Restaurators, vom jeweiligen Leihnehmer finanziert, entscheidet, wer für den Schaden aufkommen muß. Doch trotz aller Gefahren für die Kunst: Für eine hermetisch abgeriegelte und hinter Glas sichergestellte Kunst ist Ketnath nicht.

Im eigenen Haus versucht Ketnath indes „ein Milieu“ zu schaffen, „in dem sich die Kunstwerke wohlfühlen“. Er sorgt für „intelligentes Lüften und Nichtlüften“. Und neben Expertisen, Verwaltung und wissenschaftlicher Arbeit kommt er hier letztendlich sogar zum Restaurieren. Eben hat er in seinem klinisch— modernen Atelier das Loch in einem Hödicke-Bild geflickt: Unter dem Mikroskop wurde Fädchen für Fädchen mit einem Kunstharz verbunden, mit Gouache ausgefüllt und mit Aquarellfarben nachretuschiert — für Ketnath, der bereits an elf Museen und Instituten restauriert und konserviert hat, „ein Routinefall“. Schon bald reist er nach Berlin, um die 35 Opalkas in der Nationalgalerie zu empfangen — und erneut unter die Lupe zu nehmen. Sabine Komm

Foto: Christoph Holzapfel