Lido-Kino

Aus dem „Herald Tribune“ hat Chen Kaige, Regisseur des in Cannes ausgezeichneten Films „Farewell My Concubine“ erfahren, daß der Film nun ohne sein Einverständnis in China anläuft. Kaige, in diesem Jahr Mitglied der Biennale-Jury, war zuvor über seine Agenten aufgefordert worden, aus dem Film über zwei Protagonisten der Chinesischen Oper alles herauszuschneiden, was die Kulturrevolution oder die Homosexualität betrifft. Im Moment, so Kaige, bestehe seine einzige Chance darin, sich nicht direkt gegen die Autoritäten zu stellen.

Clara Law, in Macao geborene und in Hongkong ausgebildete Regisseurin von „Autumn Moon“, hat ihren neuesten Film „You Seng“ auch deshalb in der Tang-Dynastie angesiedelt, weil diese Zeit für viele Chinesen noch immer eine Zeit der Prosperität darstellt. Ihr lag aber ein Bruderzwist zugrunde, und Law läßt einen der beiden Brüder durch das Land reisen. Nie sieht man solche Farben im europäischen Kino; die Erde ist lehmfarben, graublau die Luft um Berge und Münder. Scharf gezogene Ränder um Augen und Augenbrauen geben jedem eine Maske, deren Ausdruck die Spieler festzurrt und zugleich befreit. Daß Shi die Erlösung von seiner Schuld, die er bei den taoistischen Mönchen in den Bergen sucht, nicht finden kann, wissen wir lange vor ihm. Clara Law ist ernsthaft der Meinung, daß die Zensur der chinesischen Kultur sehr gut getan hat. „Wir gehen jetzt alle nach China zurück und versuchen dort, unsere Filme gegen diese Herausforderung zu machen; ohne Zensur gibt es keine Avantgarde!“ Joan Chen, ihre Hauptdarstellerin, wird in Amerika gefeiert wie seinerzeit wohl nur Anna May Wong. Sie erklärt sich das damit, daß sie sich an dem Immigranten-Klischee „Chinesen sind entweder Fußballspieler oder Computer-Besessene“ vorbeigemogelt hat. Die Chancen für chinesisches Kino im Okzident waren wohl jedenfalls noch nie so groß wie heute.

Ansonsten wartet man am Lido auf Godard.

Aus Venedig:

Mariam Niroumand