Kunst und Schutt

■ Hamburger Kunstverein eröffnete seine neuen Räume in der Markthalle mit der Ausstellung „Backstage“

Noch ist die Kunst von den Bauarbeiten nicht immer zu unterscheiden. Die Eröffnung des Kunstvereins in den neuen Räumen der Markthalle fand statt hinter Absperrungen und Gerüsten, Mauersteinhaufen lagen im Foyer. Da solche Umstände aber absehbar sind, waren sie schon längst in das Konzept der Ausstellung integriert.

Direktor Stephan Schmidt-Wulffen präsentierte ein offenes Haus, in dem nicht nur die lichte Halle von tausend Quardatmetern und die 200 qm Kunstlichträume im Parterre zu begutachten sind, sondern auch alle Nebenräume von der Bibliothek über die Teeküche bis zum Lager. Diesen Blick hinter die Kulissen betont auch der Ausstellungstitel: „Backstage“.

Dreissig Künstler hinterfragen die Architektur des Hauses und den heutigen Kunstbetrieb. Das geschieht auf einem Grad zwischen reinem Witz und schwerer Theorielastigkeit, ist jedenfalls immer auf das Mitdenken der Kunstnutzer angewiesen. So sind auch die Steine im Eingangsbereich natürlich eine Kunst-Arbeit. Dan Peterson macht auf den Zusammenhang von Stromproduktion und Gipsabfall der Rauchgasentgiftung aufmerksam.

Traditionellere Kunstformen wie Skulptur und Malerei kommen nur als Reflektion über ihre eigene Herstellung und Verwaltung vor: Frische Tonplastiken bleiben unvollendet und müssen stets feucht gehalten werden; von den Bildern Glen Baxters verkünden Cowboys, daß sie die regelmäßigen Vorlesungen über die Spätphase im Werk von Georges Braque zu langweilen beginnen oder das der Louvre per Pferd schneller zu besichtigen sei.

Wissenschaftliche Diskurse simuliert die Hamburgerin Nina Petzet, in dieser Ausstellung zeigt sie den Tresor für „Schrödingers Katze“, ein Experiment zur Quantenmechanik. Den Raum selbst thematisiert Gerwald Rockenschaub durch Einziehen eines Korridors vor der Fensterwand mit Tritthockern zum Herausschauen, während in der Mitte der Halle das durch die Decken und Stützen vorgegebene Raumraster mit einem weißen und einem schwarzen Raum modifiziert wird.

Unter einem Weihnachtsbaum imitiert Philippe Parreno Texte zur Kunst von Godard und Marko Lehanka zeigt Videos seiner liebsten Vernissagen. Zwischen TV-Realität und Warenfetisch wird das soziale Ereignis selbst zum einzig beachtenswerten Gegenstand. Soziale Kontrolle ist allgegenwärtig: Julia Scher überwacht Besucher per Videoinstallation selbst auf dem Klo. Intim wird's in den hinteren Kellerräumen: rote Lampen locken zu einer Schlafstelle, und der thailändische Künstler Rirkrit Tiravanija kocht für Besucher.

Insgesamt bietet die Eröffnungsschau manche Fallen und erinnert an das legendäre Konzept der D&S-Ausstellung von 1989. Die hier vorgestellte Dominanz gesellschaftlicher Fragestellungen soll auch die Kunstvereinsarbeit der nächsten Jahre prägen. Exemplarisch dazu die in der Schau dokumentierte „Offene Bibliothek“ von Clegg und Guttmann, deren Außeninstallation ein Projekt von Kunst im öffentlichen Raum der Kulturbehörde ist: An drei Orten in der Stadt wurde in den HEW-üblichen Schaltkästen aus Kunstgranit eine für die Bürger frei zugängliche Bibliothek mit insgesamt 1300 Büchern installiert und das ganze Projekt mit fachsoziologischer Forschung begleitet. Hajo Schiff

Klosterwall 23, bis 24.Oktober, Di-So 11-18 Uhr, Do bis 21 Uhr, Katalog 27 Mark.