Jubel, gut portioniert

■ HSV gegen Stuttgart 3:2 – die Hölle für die Fans, dazu ein amüsierter Bundestrainer     Von Claudia Thomsen

„Du, isch sag' Dir eins, der erschte Akku is'schon leer“, warnte der Mann von der Stuttgarter Zeitung seinen Kollegen am anderen Ende der Leitung - und das war keine Effekthascherei. Bereits nach 30 Spielminuten überstieg die Quantität der Ereignisse bei weitem die Kapazität seines Funktelefons. Das Gerät sah plötzlich sehr klein und sehr nutzlos aus.

Viel zu erzählen gab es am Mittwoch abend nicht nur über die Spieler aus dem Süddeutschen, sondern auch über die vom Volkspark. Benno Möhlmann hatte keine Minute Zeit, sich die rote Kapuze über den Kopf zu ziehen - das Wetter war so feucht wie die Augen von Stuttgarts Coach Christoph Daum -, da flutschte der Ball bereits unter der linken Achsel von Eike Immel hindurch ins Tor. 22.300 Fans bejubelten den Treffer von Harald Spörl, der nach dem gewitzten Doppelpaß mit dem für Yordan Letchkov aufspielenden Andreas Sassen reine Formsache war. Auf die Abwehr verwendeten die Hamburger fortan nicht mehr die nötige Sorgfalt. Valdas Ivanauskas vertändelte in der 13. Minute im Mittelfeld, die blitzschnell und trickreich agierende Nummer Elf der Stuttgarter, Ludwig Kögl, flankte zirkusreif in der 25. Minute: Zwei Chancen, die der Isländer Eyjölfur Sverrisson und Grünling Oliver Otto in eine 2:1 Führung der ganz in lila gewandeten Gäste verwandelten. Der Rückstand schien vor allem Karsten Bäron zu beflügeln: Der setzte, eben als besagter Reporter nach Hause zu telefonieren begann, einen feinziselierten, leicht verzögerten Paß auf Jörg Albertz, der das Leder aus 14 Metern mit links in die Maschen knallte. „Wenn ich eine 76prozentige Chance habe und mein Mitspieler hat eine 100prozentige, dann soll ich abgeben, hat der Coach gesagt“, kommentierte der 20jährige Bäron hernach einsichtig seinen solidarischen Einsatz. Die Fans unterlegten das Geschehen fortan mit gut portioniertem Jubel, denn ein Ende der Spannung war nicht abzusehen. Valdas Ivanauskas verschätzte sich zehn Minuten vor der Pause frei vorm Tor und traf statt mit dem Kopf nur mit der Schulter. Das machte den Litauer sehr wütend, den engelstreuen „Ivan-Ivan“-Chören tat es keinen Abbruch.

Und wie lauten die Halbzeitimpressionen von Ehrengast Hans Hubert Vogts? „Das war nette Unterhaltung“, befand der fernsehtauglich zurechtgeschminkte Bundestrainer in perfektem Fachjargon. Ja, für ihn setzte sich das Amüsement in der zweiten Halbzeit fort. Echte Fans jedoch, für die sich ein Spiel des HSV von einem Besuch im Schmidts Tivoli durch echte Mitleidenschaft unterscheidet, gingen durch die Hölle. Selbst die 3:2 Führung durch den bezaubernden Bäron linderte die Qual nur marginal. Es waren noch weitere 23 Minuten zu spielen und die Hamburger stürmten noch ein wenig weiter, was meist im Abseits endete. Die Stuttgarter, allen voran der laufstarke Kögl, verstärkten den Druck. Die Möhlmann-Truppe beendete daraufhin ihr sadistisches Treiben und stellte sich vor den geforderten Richard Golz. Am Spielstand änderte sich dadurch nichts mehr. Christoph Daum - ganz der verkannte Philosoph - schob den gegnerischen Sieg der Unterstützung Jupiters zu : „Gerechtigkeit gibt es für uns im Augenblick nicht.“

Da hatte doch der HSV von seinen 28 Torschüssen, die Gäste landeten nur zwölf, einen mehr verwandelt. So gerecht kann Fußball sein.