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Sheena, Königin des Dschungels

Wie die Turner sich zu Lebzeiten neu erfunden hat. Kleiner Nachtrag zur Filmbiographie von La Tina  ■ Von Andrea Böhm

Denkmäler setzt man Menschen, wenn sie tot sind. Für die Verfilmung von Biographien gilt das gleiche. Egal, ob es sich um Charlie Chaplin oder Charlie Parker, Jim Morrison oder Malcolm X handelt. Wer tot ist, kann sich erstens nicht mehr wehren und läßt zweitens viel Raum für Mythenbildung. Mythenbildung ist kostenlose Werbung für jedes Filmprojekt – noch bevor die erste Szene im Kasten ist.

„What's Love Got To Do With It“ ist auch kein Film über die lebende Tina Turner, sondern über eine Tina Turner, die es nicht mehr gibt – eine, die sich aus einem alten Leben in ein neues kämpft. Das hat viel mit Befreiung, aber auch viel mit dem zu tun, was die Amerikaner reinventing nennen – ein Wort mit ebenso magischer Bedeutung wie success und chance.

Was „What's Love Got To Do With It“, dessen Drehbuch auf Tina Turner's Autobiographie „I, Tina“ beruht, in der Geschichte Hollywoods außergewöhnlich macht, ist das Thema dieser Befreiung oder Wiedergeburt: Erstmals hat ein Film, der als Kassenschlager geplant und folglich für ein Massenpublikum angelegt ist, sexuelle Gewalt zum Thema. Gewalt gegen Frauen – nicht als sexistische Zutat (wie in „Once Upon A Time in America“) oder als tragischer Nebeneffekt im Leben eines Rockgenies (wie in Oliver Stones Film über Jim Morrison). Auch nicht als Ausgangspunkt für einen Frauen- Road-Movie wie in „Thelma&Louise“. Identifikationsfigur ist in diesem Film die Frau. Aus Tina Turners Sicht wird die Karriere und damit untrennbar verbunden die Torturen im Zusammenleben mit einem brutalen Mann geschildert: jene achtzehn Jahre Ehe mit Ike Turner, in denen beide auf der Bühne Rock'n'Soul-Geschichte geschrieben haben, während er sie hinter der Bühne, zuhause, im Studio regelmäßig drangsalierte, verprügelte und vergewaltigte. Die Quintessenz dieser Beziehung hat Filmregisseur Brian Gibson mit einer der vielen Konzertszenen eingefangen. Apollo Theatre, 1965: Tina Turner, hervorragend gespielt von Angela Bassett, ist physisch zu erschöpft, um aufzutreten, doch Ike, ebenso hervorragend gespielt von Laurence Fishburne, zwingt sie auf die Bühne, um „A Fool In Love“ zu singen. Bevor sie einen Ton herausbringt, geht er auf sie zu und küßt sie auf die Wange. Das Publikum im Konzertsaal raunt angesichts dieser demonstrativen Zärtlichkeit. Sie weint. Der Kuß ist als Drohung gemeint, als Ausdruck seiner Allmacht – die Vergegenwärtigung, daß es jederzeit wieder Prügel geben kann.

Siebzehn Mal wurde das Drehbuch zu „What's Love Got To Do With It“ umgeschrieben. Die ersten Versionen, so Regisseur Brian Gibson, hätten Tina Turner zu sehr als hilf-und wehrloses Opfer dargestellt – eine Frau, mit deren Leidensbereitschaft das Kinopublikum irgendwann die Geduld verloren hätte. Tina Turner selbst legt nachdrücklich Wert darauf, nicht als wehrloses Objekt dazustehen, als Frau, die lange, viel zu lange, unfähig war, ihren Mißhandler zu verlassen. So viele Jahre bei Ike geblieben zu sein, sei ihre eigene, selbstbestimmte Entscheidung gewesen. „Intellektuelle können von mir aus alle denkbaren Etiketten rausholen: geschlagene Frau, Opfer, bla, bla, bla. Darauf gebe ich einen Scheißdreck. Ich tat, was ich tun mußte. Und ich hab's zu Ende gebracht.“

Heraus kam schließlich ein dramaturgisch gut komprimiertes Drehbuch – die Geschichte einer Befreiung: Der Beginn einer Karriere, in der er sie und ihr Image als durch und duch sexualisiertes Energiebündel kreiert; die ersten Demütigungen, Prügel und Vergewaltigungen; ein Selbstmordversuch; gescheiterte Versuche, mit den vier Kindern davonzulaufen; der erste Tritt zwischen seine Beine, bei dem das Publikum in vielen US-Kinos Beifall klatschte; die Flucht mit blutverschmiertem Gesicht aus dem gemeinsamen Hotelzimmer; schließlich die Scheidung, in der sie alle materiellen Güter Ike überläßt und nur darauf besteht, den Namen behalten zu dürfen, den er ihr gegeben hat: Tina Turner (ihr Tauf- und Mädchenname lautete Anna Mae Bullock). Ihre neue Karriere mit einem weißen Manager, ihr neues Leben und Image baute sie sich buchstäblich aus dem Nichts auf. Am Ende dann die Hommage an den Star aus Natbush, Tennessee: Die letzten Szenen, Aufnahmen eines ihrer zahlreichen Soloauftritte auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn, sind nicht mehr fiktiv. Anstelle von Angela Bassett spielt Tina Turner Tina Turner.

Aber das ist noch lange nicht alles. What's Race Got To Do With It?

Der Hinweis mag überflüssig sein. Trotzdem sei vermerkt: Die Akteure in diesem biographischen Film sind schwarz, die Mehrheit des Kinopublikums ist weiß. Wenn man nun das Thema Sexismus im allgemeinen und sexuelle Gewalt im besonderen am Beispiel von AfroamerikanerInnen vor einem vorwiegend angloamerikanischen Publikum behandelt, dann werden einige Tabuthemen berührt – vor allem die große Lebenslüge vieler durchaus hellsichtiger Menschen, wonach sich die beiden großen Ismen, Rassimus und Sexismus, getrennt voneinander diskutieren ließen.

„What's Love Got To Do With It“ scheint im Trend zu liegen. In den letzten beiden Jahren sind in den USA zahlreiche Bücher afroamerikanischer Autorinnen erschienen, die sich höchst kritisch und wütend mit den Geschlechterbeziehungen innerhalb der schwarzen communities auseinandersetzen – egal, ob es um den alltäglichen Umgang mit den vielen brothers geht, die Gewalt in den Ghettos oder den unverblümten Frauenhaß in den Texten populärer Rap-Musiker wie Ice Cube, Ice-T oder N. W. A. Da mag bei manchen Weißen, die in dieser Diskussion nur Zaungastfunktion haben, der selbstgefällige Eindruck entstehen, Afroamerikanerinnen würden nun eine Auseinandersetzung nachholen, die Weiße schon längst begonnen haben.

Nichts läge der Wahrheit ferner: Theorie und Praxis schwarzer Frauenrechtlerinnen lassen sich ohne weiteres bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Bloß waren diese Frauen zwangsläufig immer auch im Kampf gegen Sklaverei und gegen Rassismus engagiert – einem gesellschaftlichen Gewaltverhältnis, zu dessen Bekämpfung viele weiße Feministinnen damals wie heute nur wenig Energie aufbringen. Von schwarzen Frauen jedenfalls – von wem auch sonst – stammen die ersten Analysen des Zusammenhangs zwischen Rassismus und Sexismus und darüber, wie das ethnische Kastensystem in den USA durch sexuelle Stereotype durchgesetzt wurde: Die Konstruktion eines weißen männlichen Images des fürsorglichen und kultivierten Machthabers; des weißen weiblichen Images der puren, unberührten, schutzbedürftigen lady; des schwarzen männlichen Images eines unzivilisierten, triebhaften potentiellen Vergewaltigers weißer Frauen (was eine völlige Verkehrung der Realität darstellte); und schließlich das schwarze weibliche Image einer aus natürlicher Veranlagung heraus promiskuitiven Frau, deren „Immoralität“ und „Lasterhaftigkeit“ schwarze Männer wiederum zu Vergewaltigern macht.

Noch immer führen Afroamerikanerinnen einen sehr einsamen Kampf an mehreren Fronten; so wie weiße Feministinnen den Sexismus weißer Kultur-Ikonen wie Norman Mailer oder Henry Miller angeprangert haben, haben schwarze Schriftstellerinnen wie zum Beispiel Pearl Cleage den Sexismus afroamerikanischer Vorbilder und Identifikationsfiguren öffentlich gemacht. Aufsehen erregte vor einigen Jahren zum Beispiel Cleages Essay „Mad At Miles“. Miles Davis hatte in seiner Autobiographie beiläufig und ohne sichtbare Gewissensbisse beschrieben, wie er aus seiner Frau Cicely Tyson regelmäßig „die Scheiße herausprügelt“ hat, weil sie Freunde nach Hause brachte, die er nicht mochte. Ähnlich salopp beschreibt Ike Turner heute noch die Gewalttätigkeiten gegen Tina Turner. „Sie hat immer so traurig geguckt und ich kann traurig dreinschauende Leute nicht ausstehen ... Also hab' ich die Scheiße aus ihr herausgeprügelt.“

„Wie können sie uns schlagen“, schrieb Cleage in ihrem Essay, der enormen Staub aufwirbelte, „und gleichzeitig unsere Helden sein?“ Die Schriftstellerin, die sich selbst etwas umständlich als African American Urban Nationalist Feminist bezeichnet, macht keinen Hehl daraus, daß afroamerikanische Frauen in einem Dilemma stecken. Die gemeinsame Erfahrung des Rassismus zwingt schwarze Frauen zur Solidarität mit schwarzen Männern, den weiße Frauen nicht

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kennen – und den nachzuvollziehen sie sich bislang nicht bemüht haben.

Sich gegen diese Ismen, diese Gewalt auf allen Ebenen, zu wehren, ist ein pausenloser Kampf. Abgesehen von physischer Gewalt und doppelter Diskriminierung: Mit dem Stereotyp der schwarzen Frau als Körper mit ungezügelter Sexualität werden Afroamerikanerinnen überall konfrontiert – in der Werbung, durch die Stigmatisierung als welfare mothers mit zu vielen Kindern, in der Pornoindustrie, im Filmgeschäft – oder in der Popkultur. „Da scharze weibliche Sexualität in der rassistisch-sexistischen Ikonographie immer als freier und befreiter dargestellt worden ist“, schreibt die afroamerikanische Feministin und Kulturkritikerin Bell Hooks, „haben zahlreiche schwarze Sängerinnen, unabhängig von der Qualität ihrer Stimme, ein Image kultiviert, das ihre sexuelle Verfügbarkeit und Zügellosigkeit suggeriert.“ Folglich steht Hooks der Erfolgsstory der Tina Turner äußerst kritisch gegenüber. Nach Jahren der Mißhandlung sei das Image, das Ike von ihr geschaffen hatte, das einzige, was sie aus dieser Ehe mitgenommen habe. „Ohne Ike“, schreibt Hooks, „hat ihre Karriere neue Höhen erreicht. Nicht zuletzt, weil sie um so härter daran arbeitet, die visuelle Darstellung von Frauen und besonders schwarzen Frauen als sexuelle Biester auszubeuten.“ Nun nicht mehr unter der Kontrolle eines Mannes, sondern mit „dem Image einer autonomen schwarzen Frau, deren Sexualität ein Mittel ist, Macht auszuüben.“

Daß Tina Turner damit den Weg für eine jüngere Generation von Sängerinnen wie Janet Jackson, Paula Abdul, aber auch Madonna bereitet hat, mag frau als Fortschritt bezeichnen. Die Frage ist nur, in welche Richtung.

Die einschlägigen US-Unterhaltungsmagazine – ob schwarz oder weiß, ob Ebony oder People – präsentierten denn auch zur Premiere des Films übereinstimmend und voller Wohlwollen das Happy- End in Form des Imageproduktes Tina Turner: Trotz Schlägen, Vergewaltigungen und Demütigungen in der Ehe und trotz ihrer 53 Jahre sieht sie immer noch sexy und wild aus mit attraktiven Beinen, animalischer Stimme und strammem Busen. Frauen, nehmt euch ein Beispiel, lautet die implizite Message an das weibliche Publikum, wobei manche AutorInnen eher mehr, andere eher weniger subtil formulierten. Audrey Edwards, Redakteurin des afroamerikanischen Unterhaltungsmagazin Essence gehört zu letzteren: „Neben ihrem großartigen Körper hat sie ein großartiges Gesicht, das den Sturm des Mißbrauchs erstaunlich makellos überstanden hat. Die hohen Backenknochen, der sinnliche Mund, die weiche, karamelfarbene Haut zeigen nicht eine einzige Narbe aus den Jahren der Schläge durch einen gewalttätigen Ehemann.“

Tina Turner hat sich laut Time bislang geweigert, „What's Love Got To Do With It“ anzusehen – obwohl sie bei den Dreharbeiten geholfen hat. „Ich brauche mir den Film nicht anzuschauen, ich kenne ihn bereits“, sagt sie, „Ich habe ihn durchlebt.“

„Tina – What's Love Got to Do with It?“ Regie: Brian Gibson.

Kamera: Jamie Anderson. Mit Angela Bassett, Laurence Fishburn u.a. USA, 1993. 118 Min.

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