■ Stiftengehen vor einer rechten Provinzgestalt?
: Mit so einem spricht man nicht!

Wo immer sich in Deutschland Wohlanständigkeit und politische Moral demonstrativ zur Schau stellen, ist Vorsicht geboten: Der Konsens zusammenrückender Demokraten grenzt regelmäßig aus. Und er ist brüchiger, als die feine, konsensberauschte Gesellschaft sich einzugestehen mag. Mit der ins Wasser gefallenen NDR-Wahlsendung „Im Kreuzfeuer – Die Hamburger Spitzenkandidaten“ hat der hilflose Antifaschismus eine neue Narrenkappe errungen. Der Versuch, die DVU auszusperren, scheiterte am Oberverwaltungsgericht. Woraufhin die wackeren Männer und Frauen von SPDCDUFDPGAL einhellig und entrüstet ihre Teilnahme ablehnten: Mit so einem spricht man nicht! Es gab Zeiten, da die Grünen ebensolche miesen, verklemmten Winkelzüge, mit denen sie aus Fernsehrunden ausgeschlossen wurden, als Anschlag auf die Demokratie bitterlich beklagten. Wer einwendet, dies sei „etwas ganz anderes“, mag bedenken, daß demokratische Spielregeln nicht willkürlich nach politischen Kriterien gebrochen werden dürfen. Ein öffentlich-rechtlicher Sender ist an die Grundrechte gebunden.

Nein, es geht nicht darum, den Kameraden von der DVU und anderen rechten Sekten inflationär Gelegenheit zu verschaffen, ihre kochende Volksseele vor einem Millionenpublikum überquellen zu lassen. Die einschlägige Berichterstattung, Interviews und dergleichen wollen wohl überlegt und gut vorbereitet sein. Doch über all den einfallslosen und (wenig Erfolg versprechenden, weil kontraproduktiven!) Abgrenzungsritualen, all den lauen Berührungsängsten vermissen wir eines: einen gewissen sportlichen Ehrgeiz, dem politischen Gegner offen mit Argumenten entgegenzutreten, die Lust an der lebendigen Debatte, die Freude an der klug und schlagfertig, fintenreich und hart geführten politischen Kontroverse.

„Gegen die Hetzparolen rechtsradikaler Parteien sind Sachargumente vergeblich“, behauptet Gisela Wild, die Spitzenkandidatin der FDP. Sie, die mit dem Slogan „Lieber Wild als angepaßt“ wirbt, schwimmt damit ganz im Mainstream. Die Erkenntnis ist nicht gerade neu, daß antidemokratischen Ressentiments mit gutem Zureden allein nicht beizukommen ist. Doch heißt dies, daß Demokraten einfach stiftengehen, wenn irgendeine rechte Provinzgestalt sich anschickt, eine Diskussionsrunde zu komplettieren?

Nein, es geht nicht darum, den politischen Meinungskampf als edlen Wettstreit der Ideen zu idealisieren. Und doch gibt es eine Grundannahme, ohne die Demokratie ganz und gar sinnlos ist: die Annahme, daß nichtexklusive politische Freiheit es vermag, ein Mindestmaß an praktischer Vernunft hervorzubringen. Diese Annahme mag teilweise eine Fiktion sein, sie ist indes notwendig, wenn Demokratie sein soll.

Stellen wir uns einmal vor, daß jene, die sich Republikaner nennen, in den nächsten Bundestag einziehen. Ob sich unsere aufgeregten Demokraten dann indigniert aus dem Saal entfernen, sobald einer sich schönhubernd am Wort vergreift? Und gesetzt den Fall, es ziehen dunklere Wolken auf: Wie wollen unsere zaghaften Demokraten bloß die Republik verteidigen, wenn einmal wirklich Gefahr im Verzuge ist und mehr zu tun ist, als rechten Populisten verbal entgegenzutreten? Horst Meier

Jurist und Autor, lebt in Hamburg