Inhaltliche Schieflage

■ betr.: „Pazifistischer Selbstbe trug“, taz vom 13.9.93

[...] Daß Du kein Pazifist bist — geschenkt. Auch daß es Dir deshalb nicht gefällt, wenn eine Partei Gewaltfreiheit zum Prinzip erklärt (Assoziationsvertrag: „Die Gewaltfreiheit ist ein grundlegendes Prinzip unserer politischen Ethik“), ist ja durchaus nachvollziehbar.

Daß Du Dich aber dann fürchterlich echauffierst, wenn diese Partei einen friedenspolitischen Leitantrag formuliert, der doch tatsächlich mit ihren Prinzipien übereinstimmt, ist schon eher bedenklich: Wenn eine Partei sich nicht mehr um ihre Prinzipien schert, sondern sie schlicht ignoriert, dann hat das nicht mit Realitätssinn, sondern allenfalls noch mit Opportunismus zu tun.

Aber das sind Kinkerlitzchen gegen die inhaltliche Schieflage Deiner Argumentation: Du forderst im Namen des unängstlichen Blicks auf die Realität und der internationalen Solidarität grüne Zustimmung zu internationalen Militärinterventionen — und führst als positives Beispiel die „direkten Zwangsmaßnahmen“ der Golfkriegs-Alliierten an, die nach Deiner Auffassung den Terror Saddam Husseins gegen die irakischen Kurden beendet hätten. Diese Sichtweise ist, freundlich ausgedrückt, von wenig Realitätssinn getrübt: Die Alliierten überwachen lediglich den Luftraum über Irakisch-Kurdistan — vom Boden aus kann Saddam Hussein die Kurden weiter terrorisieren, wie es ihm beliebt. Mal ganz abgesehen davon, daß er diesen Terror mit Waffen ausübt, die ihm von jenen Alliierten jahrzehntelang verkauft wurden.

Gleich nebenan können die türkischen Kurden nicht einmal vor Angriffen aus der Luft sicher sein — sie werden gerade Opfer einer Militäraktion eines Teiles eben jener Golfkriegsallianz, deren Militäreinsätze die Grünen nach Deiner Auffassung unterstützen sollen.

Ein bißchen weiter entfernt, in Mogadischu, wurden am 9. September einige hundert unbewaffnete Zivilisten, Frauen und Kinder ermordet — im Rahmen einer „humanitären“ militärischen Intervention der UNO, die „Sicherheit und Frieden“ sichern sollte. Der UN-Sicherheitsrat erklärt dazu, daß sei durchaus in Ordnung, die Kinder hätten „Kombattantenstatus“ gehabt, weil sie von Bewaffneten als Schutzschild benutzt worden seien.

Hälst Du es wirklich für eine angemessene Fortsetzung der „besten Traditionen eines linken Internationalismus“, den Einsatz der Bundeswehr bei solchen Militärinterventionen zu fordern? Da halte ich den grünen Leitantrag für erheblich solidarischer. Uli Beer-Bercher, Karlsruhe