Alle Frauen sind Heldinnen

■ Emma Thompson über Beatrice, ihre Rolle in Kenneth Branaghs „Viel Lärm um nichts“

Ein Interview mit Emma Thompson? Aber bitte, kein Problem. Tage vorher werden mir während der Filmfestspiele in Cannes Ort und Zeit mitgeteilt und daß es sich um ein Gruppengespräch handele: Wir seien zu dritt. Einzeln gibt's nicht und auch nicht mehr als 20 Minuten, jedenfalls nicht in Cannes. Wer danach fragt, ist naiv oder vermessen. Als ich mich vor der „Belle Otero Bar“ (benannt nach der berühmtesten Kurtisane der Cote d' Azur) des Hotels Majestic einfinde, warten dort bereits mengenweise Kollegen. Das Gespräch findet nicht zu dritt, sondern zu sechst statt, in einem quadratischen Raum mit vier großen runden Tischen. An einem Tisch Emma Thompson, gegenüber Regisseur Kenneth Branagh, daneben Keanu Reeves und als viertes Angebot das Liebespaar der Shakespeare-Komödie, Robert Sean Leonard und Kate Beckinsale. Die fünf Interviewpartner werden komplettiert durch Journalisten aller Länder, Medien und Sprachen, der Geräuschpegel gleicht dem einer Bahnhofshalle, nach 20 Minuten ist Schichtwechsel. Gelegentlich tauscht ein Kollege oder eine Kollegin auch mitten im Gespräch die Runde, wenn der eigene Tisch nicht ergiebig scheint. So wird für eine mit vielen Stars besetzte Produktion wie Branaghs „Viel Lärm um nichts“ die gesamte europäische Presse plus Rundfunk in wenigen Stunden bedient. Die Stars sparen Zeit, niemand muß abgewiesen werden, ein Gespräch findet garantiert nicht statt. Ergo: Nicht alle Fragen im folgenden Interview stammen von chp.

In „Viel Lärm um nichts“ spielen Sie die wortgewandte, kühle Beatrice. Was hat Sie an dieser Frau interessiert?

Was mir am meisten Spaß gemacht hat, war ihr Zorn. Sie möchte eine Frau sein, die machen kann, was sie will. Sie will in der Lage sein zu tun, was Männer tun, aber es ist ihr nicht erlaubt. Das zeigt sich am deutlichsten in der Szene in der Kapelle. Ihrer Kusine geschieht extremes Unrecht, und sie, Beatrice, hat nicht das Recht, sie zu verteidigen. Sie muß einen Mann bitten, es an ihrer Stelle zu tun, was ja lächerlich ist. Ich mag auch das Kind in Beatrice. Als sie zehn Jahre alt war, hat man ihr gesagt, nein, du darfst nicht lernen, wie man mit dem Schwert kämpft, wie man auf einem Pferd reitet, du mußt lernen, wie man stickt. Warum? Weil du eine Frau bist. Aber das ist doch dumm, ich bin genauso stark und genauso begabt wie die Männer. Aber das ist die Regel. Warum? Weil wir dazu da sind, Kinder zu bekommen und großzuziehen. Deshalb müssen wir geschont werden, und deshalb müssen die Männer alles andere auf sich nehmen. Es ist wegen des Ausgleichs. Eine lächerliche Regel, aber es ist noch viel Arbeit zu leisten, bis sie aus der Welt geschafft ist. Wir stecken mitten im Kampf. Immerhin hat Shakespeare vor vierhundert Jahren diese unglaublich zeitgenössische Frau erfunden, die mir viel unabhängiger, freier und stärker erscheint als viele moderne Charaktere.

Das heißt, Shakespeares Beatrice ist eine Ahnin von E. M. Fosters Margaret Schlegel, die Sie in „Howards End“ gespielt haben?

Ja, sicher. Margaret ist allerdings ausgeglichener, weniger zornig. Aber in gewisser Hinsicht ist sie auch sehr stark und streng, so wie Eltern es sind. Schließlich ersetzt sie die Eltern für ihre beiden Geschwister. Von ihr wurde Umsicht und Fürsorge erwartet, sie war immer das verantwortliche Kind. Das machte sie zu einer extrem einfühlsamen, belastungsfähigen Frau. Beatrice hat eine andere Geschichte. Sie ist von vornherein praktisch ohne Eltern aufgewachsen. Ich stelle mir vor — ich habe mir das ausgedacht, das steht nicht bei Shakespeare —, daß ihr Vater im Krieg starb, noch vor ihrer Geburt, und ihre Mutter im Kindbett. Da sie nie Eltern hatte, konnte sie in mancher Hinsicht ihren eigenen Weg gehen und hatte mehr Freiheiten als andere. Sie ist fast eine Außenseiterin, aber wird dennoch akzeptiert. Es muß jedenfalls einen Grund geben, warum die andern all das, was sie über Männer sagt, einfach hinnehmen und niemand sie zügelt. Nur ihr Onkel sagt einmal: Nichte, wenn du deine Zunge nicht zähmst, wirst du nie einen Mann kriegen. Darauf sie: Was soll ich mit einem Mann? Da lenkt er ein, denn er ist ihr im Wortgefecht nicht gewachsen.

Bei der Oscar-Verleihung sagten Sie, es gebe zu wenige gute Rollen für Schauspielerinnen, zu wenige vom Format einer Beatrice oder einer Margaret Schlegel ...

Ich sagte, ich widme den Oscar dem Heldentum und dem Mut von Frauen und ich fordere mehr Rollen, die diese Frauen repräsentieren. Ich möchte mehr reale, leibhaftige Frauen auf der Leinwand sehen, das Heldentum und den Mut gewöhnlicher Frauen. Es geht mir weniger um Schauspielerinnen als um Frauen im allgemeinen. Es ist doch traurig: In den meisten heutigen Filmen beschränkt sich die Rolle der Frauen darauf, gerettet oder bemuttert zu werden oder damit, daß man Sex mit ihnen hat. Sie sind die Beute, das Opfer.

Natürlich macht mich das selbst immer wieder sehr zornig, aber im Lauf der Jahre habe ich begriffen, daß es nichts bringt, auf Konfrontation aus zu sein. Zorn ist gut, wenn er Energie freiläßt, aber er taugt nicht als Mittel zur Kommunikation. Wenn ein Kampf ausgefochten werden muß, wenn es eine Revolution der Sitten gibt, gibt es fast immer jemanden in der ersten Reihe, der das Geschrei macht. Hinter diesen wütenden Schreiern kommen dann Leute, die den Standpunkt teilen und ihn in Ruhe denjenigen mitteilen können, die noch weiter zurückstehen.

Sind Sie „nur“ Schauspielerin, oder machen Sie auch andere Sachen?

Im Moment schreibe ich ein Drehbuch, nach Jane Austens erstem Roman „Sense and Sensibility“. Eine Adaption ... Eine Kollegin verabschiedet sich und wechselt zum Tisch von Kenneth Branagh Ja, ich weiß, nach all diesen Gesprächen über Frauen: kaum betritt mein Mann den Raum, wutsch, weg ist sie (lacht). Aber im Ernst: Ich finde es manchmal erschreckend, wenn man mit Frauen zusammen ist, man unterhält sich gut, amüsiert sich, ein Mann kommt herein und alles ist anders. Das enttäuscht mich. Die Gesellschaft von Frauen ist für mich meist sehr inspirierend. Für mich sind alle Frauen Heldinnen.

Wie gehen Sie denn mit dem Problem um, daß es für viele Schauspielerinnen, die älter als 25 sind, kaum noch gute Rollen gibt? Schließlich sind Sie ein Workaholic.

Bisher hatte ich Glück. Ich habe immer gearbeitet, und man hat mir gute Rollen gegeben. Und ich hoffe, daß ich ein paar gute Rollen geschrieben habe, bis ich älter bin. Es macht nichts, wenn ich sie nicht selbst spiele, ich schreibe gerne für andere Frauen. Ich hatte bereits große Gelegenheiten vor der Kamera, ich muß diese Position nicht behalten. Nichts bleibt für immer. Man muß weitermachen. Deshalb schreibe ich jetzt, eines Tages werde ich vielleicht Regie führen. Ich habe auch angefangen, andere Frauen, andere Schauspielerinnen darum zu bitten, selber zu schreiben und darüber nachzudenken, welche Rollen sie gern spielen würden. Es wird wirklich problematisch für eine Frau, wenn sie 40, 45 ist und erst recht, wenn sie in die Wechseljahre kommt, was genau die Zeit ist, wenn sie am stärksten ist ... Okay, reden wir über Menstruation, das mache ich überall, wo immer ich kann. Zum Beispiel sagte meine Mutter immer, sie war auch Schauspielerin und als sie in die ... Also, als sie aufhörte ... Du meine Güte ... Also auch sie machte die Erfahrung, daß die Frau zu einer Art Nichtexistenz wird. Man gilt nicht mehr als sexuelles Wesen und fühlt sich wie vor die Tür gesetzt. Ich ahne schon jetzt, daß dieser Moment bevorsteht, und ich möchte mich vorbereiten, damit ich etwas zu tun habe, wenn ich 60 bin. Es ist ein faszinierendes Alter, aber es gibt keine Geschichten darüber. In Europa ist es besser, europäische Filme versuchen in der Tat, Frauen etwas realistischer darzustellen.

Bevor Sie zum Film kamen, haben Sie Theater gespielt, beim Edinburgh Fringe oder der Renaissance Theatre Company. Sie hatten eine Solo-Show „Short Vehicle“ und bei der BBC eine eigene Fernsehshow namens „Thompson“. In Cambridge gründeten Sie die erste reine Frauen-Revue. Machen Sie so etwas heute noch?

Nein, Komödien habe ich in letzter Zeit weniger gespielt. In „Peter's Friends“ hatte ich eine komische Rolle, die meiner früheren Komik ähnlich war. Ich habe Maggie sehr gern gespielt, weil ich bemerkte, daß sehr viel drin steckt in diesem jämmerlichen Bedürfnis, jedem gefallen zu wollen, ihrem Betteln um Sex, bei dem sie sich immer den falschen Mann sucht. Es ist eine weibliche Krankheit, sich immer die Komlizierten rauszupicken.

Intermezzo: Zu Robert Sean Leonard am Nachbartisch: Könntest du bitte verschwinden! Sorry, ich habe genug von eurem langweiligen Geschwätz. Man versteht ja sein eigenes Wort nicht. Die beiden lachen, Leonard kommt zu unserem Tisch, küßt Emma Thompson auf den Nacken, die beiden tuscheln wie Backfische, er bedankt sich für die freundlichen Worte.

„Howards End“ und „Peter's Friends“ waren amerikanische, keine englischen Produktionen. Was ändert das an Ihrer Arbeit?

Beide Filme wurden komplett in England gedreht, mit einem britischen Team. Daß die Geldgeber Amerikaner waren, machte wirklich keinen Unterschied. Mein einziger amerikanischer Film war „Dead Again“, das war wirklich eine sehr andere Erfahrung. Es war halt Hollywood. Meine Rolle war eine klassische Frauenrolle. Trotzdem hat es Spaß gemacht, denn der Film hatte Hitchcocksche Qualitäten. Und die Frau, die ich spielte, gehörte immerhin zur britischen Schickeria, sie war eine starke Figur, das rechtfertigte die Rolle in gewisser Weise. Aber ich hatte das Gefühl, ich sei nicht hübsch genug dafür.

Interview: Christiane Peitz