Kind sucht Garten

Oder: Verzeihung, wir haben einen Sohn. Eltern auf der Jagd nach einem Kita-Platz. Ein Erlebnisbericht  ■ Von Michael Schophaus

Biete: Jonas, Wunschkind, trocken, 1. Hd., gut erz., Erstzul. 6/90, 1 A Wesen, lenkbar, sauber, gepfl., leise, beißfest, keine Extras – Suche: Kindergarten, beheizt, sauber, gepfl., kreativ, freundl., viele Extras

Ich würde ja gern, sagt Frau Pfefferkorn aus Eppendorf, aber Sie kommen vieeeeel zu spät. Manche Eltern seien schon drei Tage nach der Geburt dagewesen, um das Kind in ihrem Kindergarten anzumelden, und wenn sie jetzt sagte, gleich nach dem B-Test oder nach dem Akt der geschlechtlichen Vereinigung, man würde es ihr glauben. Siehste, sagt meine Frau, das hat man nun vom langen Warten. Du nur immer mit dem Wirdschonwerden. Nummer 59 bietet uns Leiterin Frau Pfefferkorn auf der Warteliste an, mehr könne sie aber wirklich nicht mehr für uns tun. Nummer 59! Eine Zahl so lange wie ein Jahr oder auch zwei.

Arbeiterwohlfahrt. Hayn Park. Nächster Versuch. Dort werden wir schon vor dem geschlossenen Holztor abgefertigt. Die nächsten drei Jahre bräuchten wir nicht wiederzukommen, ruft eine schrullige Dame sichtlich genervt, wir sind voll bis unters Dach. Dann guckt sie nur noch streng. So als müßte man sich dafür entschuldigen, Eltern zu sein. Heutzutage und dann in Hamburg! Wissen Sie denn nicht, daß hier von tausend Kindern bloß 400 einen Platz bekommen, und das meistens nur hinten rum? Wir kommen uns sehr dämlich vor, trotz langer Liste in der Hand vom „Büro sozialer Dienste“ und den Adressen aller Kindergärten in der Stadt.

Jetzt aber richtig. Montessori: Steiners Geist bis in den letzten Legostein. Das wär' doch was. Nicht nur Basteln, Balge, Bilderbuch und Ringelreihen, sondern fast schon so etwas wie frühkindliche Vorbereitung auf das geistige Gemenge unserer Auslese-Scheißerchen. Genauso benimmt man sich dort an der Sierichstraße in Hamburg-Winterhude. Schließlich trägt man ja Verantwortung. Sofortige Besichtigung des Kindergartens ist mal gar nicht drin, da könnte ja jeder kommen, statt dessen läßt man uns wohlwollend die Freiheit für die schriftliche Anforderung der Bewerbungsunterlagen. Darin zeigt man Interesse für die gesamten Lebensumstände der Familie und die Entwicklung und Eigenheiten unseres Kindes, und daß man nicht noch wissen will, in welcher Stellung wir die Nachkommenschaft zu zeugen pflegen oder in welches Lätzchen Jonas beim Gemüsebrei am liebsten spuckt – wundern würde es einen nicht.

Doch noch bestehen wir vor der elitären Aufsicht der (hoffentlich!) baldigen Verwalter unseres geliebten Leibeserben. Auf dem Papier, versteht sich, der Aufsatz kommt an und meine Frau zum Elternabend. Papi muß arbeiten an diesem Tag (wird gleich negativ vermerkt), und unsere Chancen sinken, bevor sie recht begonnen haben. Mein Gattin schlägt sich aber tapfer. Drei Montessoris notieren mit gespitztem Bleistift, was sie zu den Auffälligkeiten ihres Sohnes zu sagen hat. Wahrscheinlich machte sie einen folgenschweren Fehler, als sie Jonas als ganz und gar unkompliziert beschrieb. Trotzdem werden wir drei Wochen später zum Testgespräch eingeladen. Wir wollen für unser Kind nur das Beste, jammern wir, und ein Montessori interessiert sich vor allem für das Portemonnaie des Herrn Papa. Journalist sind Sie? Das kann teuer werden, sagt er zwar nicht, meint er aber. Damit läge ich in der Einkommensstatistik bestimmt über dem Durchschnitt. So mit fünfhundert Mark müsse man da schon rechnen im Monat. Fünfhundert! Damit schlug ich mich noch vor ein paar Jahren als Student durch den Winter: Es kommt aber gar nicht erst zur Einzugsermächtigung. Schon vorher kriegen wir eine Absage. Sie rücken auf der Warteliste nach. Mit freundlichen Grüßen.

Jetzt hilft nur noch der liebe Gott. Evangelischer Kindergarten an der Johanneskirche. Anmeldung nur möglich, wenn unser lieber Ehesegen mindestens zwei Jahre auf dieser aller Welt weilt und die Eltern schön brav den kirchensteuerlichen Klingelbeutel ihrer Konfession füllen. Ob für Herrn Woytila in Rom oder für die guten Taten seiner protestantischen Gesinnungsfreunde, spielt keine Rolle. Hauptsache Steuer. Wir beteuern unsere Zahlungsfreude und geraten – richtig! – erst einmal auf die Warteliste. Im übrigen nähmen sie, sagt Leiterin Frau Wirtz, sowieso nur Kinder ab vier Jahren. In allen anderen Fällen sollten wir uns an Frau Müller wenden, die zweimal wöchentlich zwei Stunden vormittags eine Spielgruppe für Jüngere führt.

Frau Müller hat leider gerade keine Liste zur Hand. Als wir irgendwann doch draufstehen, macht meine Frau, auf dringenden Rat anderer Mütter, in regelmäßigen Abständen Anstandsbesuche im Pfarrheim, um immerwährendes, unbedingtes und niemals nachlassendes Interesse an einem kindergartenvorbereitenden Kleinkinderspielgruppenplatz zu demonstrieren. Vergebens. Wir sind wieder zu spät dran. Im übrigen werden bei Geschwisterkindern, die schon im Horte der Glückseligkeit sind und auf den Knien der Erzieher rutschen, Ausnahmen gemacht. Muß man doch verstehen, sagt Frau Müller.

Klar, verstehen wir und gehen zu St. Peter. Halbtageskindergarten. Wir dürfen vorbeikommen und uns eintragen. Natürlich geht hier alles streng der Reihe nach und mit frühchristlicher Fügung zu. Liebe den Nächsten wie dich selbst, vor allem auf der Warteliste. Irgendwann ruft uns eine Frau Schulz an, sie habe einen Platz in ihrer nachmittäglichen Betreuung zu vergeben. Eigentlich seien wir ja noch längst nicht dran, aber da sie sonst keinen erreicht habe, na ja, wollen mal nicht so sein. Erfreut stimmen wir zu, doch wenig später sagt sie wieder ab. Sie habe inzwischen doch ein paar länger Angemeldete berücksichtigen müssen. Wir liegen am Boden und weinen um die Wette. Jonas kann wie immer am lautesten. Leichte Verzweiflung kommt auf, unsere Ansprüche und unsere Hoffnungen tendieren mittlerweile gegen null.

Biete: Jonas, Wunschkind, trocken, brav – Suche: Kindergarten, beheizt, sauber, keine Extras

Herr Voscherau macht uns wieder Mut. In der Hamburger Morgenpost verspricht der Oberbürgermeister zur Wahl gute Betreuung in Kindergärten, um die Zukunft lebenswert zu erhalten. Er will bis zum nächsten Jahr 4.000 neue Plätze schaffen. Dieses Ziel, grient er in der Wahlanzeige, sollte uns allen eigentlich die nötige große, gemeinsame Anstrengung wert sein. Und ihm unsere Stimme.

Kinderladen „100 Blumen“ in Eimsbüttel. Beim Reinkommen riecht es streng nach Urin, ein paar aufgekratzte Hemdenmätze halten sich am trostlos abgenutzten Spielzeug fest, und eine langausgestreckte Nurse raunzt gelangweilt auf dem Boden liegend das Märchen vom gestiefelten Kater herunter. Für die Kleinen nur das Beste, denken wir, und überwinden uns zum Bleiben.

Jemand ist abgesprungen, also dürfen wir mit einigen anderen Eltern um den freien Platz feilschen. Dazu sitzen wir im trostlosen Garten der alternativen Verwahranstalt, in dem es nichts mehr gibt außer umgewühlte Erde, feuchtes Holz und nassen Sand. Dann wird es ernst, denn Elternrat und Erzieher wollen in einem guten, knappen Stündchen darüber entscheiden, wer zu ihnen paßt. Die besten Chancen scheinen die zu haben, bei denen wenigstens ein Vater oder eine Mutter fehlt. Es könnte ja sonst jeder kommen und am Ende noch so eine normale Familie wie unsereins? Wir legen Wert auf Mitarbeit, sagt einer der Eltern, auf Mitbestimmung, auf Wändestreichen, auf Aufräumen, auf Anpacken, auf guten Willen, auf Spenden jeder Art und auf und auf und aufsoweiter. Wenn man hier angenommen würde, bliebe wohl für nichts mehr anderes Zeit. Noch während der Aufzählung schaut er gereizt auf die Kinder, die sich zu langweilen beginnen, weil es im Garten nichts zu entdecken gibt. Ihr Verhalten spielt bei der Vergabe des Platzes ganz offensichtlich keine Rolle.

Die Erzieherin erzählt von Vollwertkost, Mineralwasser und der Vermeidung jeglicher Säfte oder Süßigkeiten und steckt sich eine Selbstgedrehte nach der andern ins Gesicht. Selbst wenn sie mit den Kindern spricht („Könnt ihr nicht mal ruhig sein?“), pafft sie ihnen den Qualm gegen ihre zarten Münder. Wir wollen die Gesundheit fördern, meint sie, und vor dem Mittagessen waschen wir uns gemeinsam die Hände. Dann muß jeder Stellung nehmen zu seinem Lebensumstand, Beruf, Einsatzwillen, und warum unsere Kinder gerade in den Kinderladen sollten. Meine Frau zeigt sich von ihrer besten Seite. Ich sage nichts, um Jonas nicht von vornherein den Weg in eine Welt von Müslis, Gesundheitsschuhen und Kettenrauchern zu verbauen, die solange von ihrem antiautoritären Geschwafel zehren, bis sie selbst dran glauben. Abends kommt ein Anruf. Man hat sich gegen uns entschieden. Besonders bei mir könne man nicht von genügend Engagement ausgehen, das Gefälle zwischen mir und meiner Frau sei doch zu groß gewesen. Vielleicht wird Jonas eines Tages „Danke, Papa“ sagen. Wir suchen weiter.

Biete: Jonas, trocken – Suche: Kindergarten, beheizt

Wir haben es geschafft! Einen Platz in einem ganz normalen und billigen Kinderhort, der den Namen auch verdient. Mit einer Kindergärtnerin, die Frau Hofmann heißt und ganz entzückend zu den Kleinen ist. Sie kriegen Säfte, Bonbons und Zärtlichkeiten und an Geburtstagen sogar Kartoffelchips. Auch die schönen Räumlichkeiten sind nicht von schlechten Eltern. Oh, welch ein Glück, denken wir in unserem stillen, wunderbaren Gaudium, und Schande über den, der uns Schlechtes unterstellt. Schlechtes oder am Ende gar noch irgendwas hinten rum wie siehe oben? Nein! Bei aller Ehre des Herrn Voscherau! (Naja, zugegeben, da kannte eine Mutter die andere, deren Kind schon länger Türmchen bauen durfte bei Frau Hofmann, und wie das dann manchmal eben ist, es geht plötzlich irgendwie sehr schnell und um so leicher, wenn jemand seinen Platz abgibt und sich eiligst um Ersatz sorgt. Aber, ehrlich, alles ging mit rechten Dingen zu.)

Nicht zu fassen auf einmal, dein Kind darf spielen. Nix mehr mit betreten verboten. Kein Wir-müssen-draußen-Bleiben. Man küßt ungläubig, zitternd und kopfschüttelnd den Anmeldungsschein, immer und immer wieder („guck mal, unser Sohn!“), bis er – der Schein – vor Zufriedenheit näßt, auch wenn man dabei in seiner Freude übersieht, daß Jonas nur montags, dienstags und donnerstags bis zum Mittag bleiben darf. Soviel jedoch ist klar und ein Lob unserer hartnäckigen Ungeduld: Er ist nun ordentliches Mitglied einer ordentlichen Kinderspielstunde der ordentlichen Kirchengemeinde St. Stephanus, und vielleicht schafft er es ja doch noch eines Tages als Quereinsteiger in einen richtigen Hamburger Kindergarten.

Bestimmt. Wir jedenfalls glauben fest daran. Morgen würde Jonas deshalb sicherlich, wenn er nur dürfte, dem ganz toll lieben Onkel Voscherau sein Stimmchen geben. Glücklicher, kleiner, dankbarer Mensch.