„Kein Frieden um jeden Preis“

■ Izetbegović fordert Korrekturen am Genfer Teilungsplan Bosnien-Herzegowinas Unterzeichnung am Dienstag ungewiß / Anhaltende Kämpfe in Zentralbosnien und der Herzegowina

Wien (taz) – „Kein Frieden um jeden Preis“ waren die klaren Worte, die gestern über Radio Sarajevo ausgestrahlt wurden. Muhamed Filipović, ein enger Vertrauter des bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović, stellte dort unmißverständlich klar, daß die bosnische Regierung am kommenden Dienstag einen Friedensvertrag nur dann unterschreiben könnte, wenn Korrekturen am Teilungsplan vorgenommen würden. Damit dämpft der bosnische Spitzenpolitiker die großen Erwartungen vom Vortag, als aus Genf die Meldung kam, Alija Izetbegović habe die Zerschlagung seines Staates akzeptiert.

Gemäß den Genfer Vereinbarungen sollten heute mittag um 12.00 Uhr an allen Fronten in Bosnien die Waffen schweigen. Zudem hatten Izetbegović, der kroatische Präsident Franjo Tudjman und der „Parlamentspräsident“ der bosnischen Serben, Momcilo Krajisnik, vereinbart, bis zur Unterschrift alle Kriegsgefangenen auszutauschen. Bis zum taz-Redaktionsschluß war davon nichts zu merken, sowohl in Zentralbosnien als auch in der Herzegowina wurde mit unverminderter Härte gekämpft.

Trotzdem optimistisch äußerte sich der EG-Unterhändler David Owen, der auch gestern noch den „Frieden in bisher ungeahnte Nähe“ gerückt sah. Eine Meinung, die im ehemaligen Jugoslawien bisher nicht geteilt wird. Belgrader wie Zagreber Zeitungen meldeten die letzten Verhandlungen in Genf kommentarlos.

Die Miliz „Kroatischer Verteidigungsrat“ (HVO) setzte derweil zur Offensive an. Wie an den Tagen zuvor bombardierte die HVO-Artillerie das muslimanische Ghetto von Mostar. Truppen der kroatischen Armee suchten derweil die Konfrontation mit den Serben in der Krajina. Entgegen dem Waffenstillstandsabkommen, das am Donnerstag für die Region ausgehandelt worden war, beschoß kroatische Artillerie die selbsternannte Krajiner „Hauptstadt“ Knin mit Raketen. Bei dem Angriff kamen mehrere Zivilisten ums Leben. Beim Rückzug aus drei eroberten serbischen Dörfern folgten die Kroaten zudem dem „Prinzip der verbrannten Erde“. Vor den Augen von UNO-Blauhelmen steckten sie jedes Gebäude in Brand.

Die serbischen Freischärler nutzten die sinnlose Zerstörungsaktion ihrerseits als Rechtfertigung zum Gegenangriff. Erstmals seit zwei Monaten feuerten sie gestern Granaten auf die kroatische Hafenstadt Šibenik ab. Über ihren Propagandasender Radio Knin warnten sie die kroatische Führung vor Vergeltung und drohten mit dem Abwurf von Bomben auf Zagreb, sollten „die Kroaten nicht zur Besinnung kommen“. Für den bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović fanden die Radiomacher dagegen nur lobende Worte. „Mit Alija kann man wenigstens noch verhandeln“, hieß es da, „der gibt uns, was uns gehört, und wir geben ihm seinen Moslemstaat – warum auch nicht?“

Doch die vermeintliche Annäherung zwischen Bosniern und Serben trügt. Izetbegović ließ gestern in Sarajevo mitteilen, er habe zwar in Genf ein neues Papier zur Aufteilung Bosniens unterschrieben, aber das bedeute nicht, daß er von seiner Forderung nach einem „natürlichen Zugang“ zum Meer Abstand genommen habe. Außerdem müsse die Frage der Verbindungskorridore zwischen den einzelnen muslimischen Enklaven noch gelöst werden – sonst gebe es am Dienstag keine verbindliche Unterschrift.

Nach dem Genfer Papier wird der neue Friedensvertrag nur dann rechtskräftig, wenn alle drei Kriegsparteien unterschreiben. Ob jedoch eine kroatische Delegation nach Sarajevo reisen wird, ist bisher noch völlig offen. Aus Zagreb jedenfalls war gestern keine Zusage gekommen. Das wissen auch die eingeschlossenen Menschen in Sarajevo, die folglich vorerst skeptisch bleiben. Karl Gersuny

Tagesthema Seite 3, Kommentar Seite 10