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Kampfansage an „Verkehrstechnokraten“

■ Mitte: Tiefbauamtsleiter Lexen möchte das Stadtzentrum für Fußgänger und Radfahrer attraktiver machen / Verkehrspolitisches Modell ist Tübingen

Als Peter Lexen vor rund vier Monaten die Leitung des Tiefbauamtes im Bezirk Mitte übernahm, war ihm ein Dilemma bereits von früher her gegenwärtig: „Wenn Sie neu in ein Amt kommen, sind viele Dinge wie ein Ozeandampfer am Laufen. Der Kurs ist nur schwer zu ändern.“ So lag der Entwurf für eine neue Ampelanlage an der Karl-Liebknecht-Straße in Höhe Alexanderplatz schon fertig auf dem Tisch. Schweren Herzens stimmte Lexen der Planung, für die eine straßenverkehrsbehördliche Anordnung vorlag, zu. Weil ihm zwischen der Markthalle an der Karl-Liebknecht-Straße und dem Roten Rathaus eine große Fußgängerzone vorschwebt, wäre dem Stadt- und Verkehrsplaner zu deren Anbindung eine breite Fußgängerfurt lieber gewesen.

Bevor er seinen Job im Bezirk Mitte antrat, war Lexen etwas mehr als drei Jahre in der Stadtverwaltung von Tübingen tätig. Beauftragt mit der planerischen Neuordnung des gesamten Verkehrs konnte der 43jährige in der reizvoll gelegenen Universitätsstadt am Neckar weitgehend seine Vorstellungen umsetzen. In Tübingen sei „auf einen Schlag“ für 80 Prozent aller Straßen eine Tempo-30-Regelung eingeführt worden, schwärmt Lexen. Ferner gebe es in Tübingen wenigstens punktuell fußgängerfreundliche Ampelschaltungen. Auch mit der probeweisen Freigabe von Einbahnstraßen für den Fahrradverkehr entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung habe man „sehr gute Erfahrungen“ gemacht. Im ganz anders von Blechlawinen durchtosten Bezirk Mitte sind für Lexen die „wahnsinnsbreiten“ Straßen das planerische Haupthindernis für eine fußgänger- und radfahrergerechte Verkehrsplanung. Der notwendige Rückbau dieser Asphaltschneisen werde sicherlich noch viele Jahre dauern.

Durch ein Bündel von relativ einfachen Maßnahmen, die dazu unter dem Strich „fast nichts“ kosteten, kann im Bezirk dennoch schon binnen der nächsten zwei Jahre spürbar die Mobilität von Fußgängern und Radlern erhöht werden, ist der Tiefbauamtsleiter überzeugt. Dazu zählten die Unterbindung des Gehwegparkens, mehr ebenerdige Straßenüberquerungshilfen und verlängerte Ampelgrünphasen für Fußgänger. Weiterhin geht es um neue Busspuren und Fahrradstreifen auf der Fahrbahn, bessere Fahrradabstellmöglichkeiten, vorrangige Lichtsignalschaltungen für Busse und Straßenbahnen, die strikte Parkraumbewirtschaftung verbunden mit einer stärkeren Überwachung des sogenannten ruhenden Verkehrs durch die Polizei. Lexen spricht von einem „Programm zur Verbesserung der Stadtstruktur“ und beweist bei der Umsetzung durchaus praktisches Denken. So orderte er dieser Tage rund 100 kreisrunde Fahrradbügel, um gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Die Bügel sollen einerseits dem eklatanten Mangel an geeigneten Fahrradabstellmöglichkeiten abhelfen, andererseits aber auch gleichzeitig jeweils zwei Poller ersetzen und damit als neue Abschirmung gegen rücksichtslose Gehwegparker dienen. Er sei nämlich gegen die „wahllose Zupollerung“ von Innenstädten, sagt Lexen.

Vorgesehener Standort der ersten Bügelexemplare ist der Rand der Grünanlage an der Gontardstraße, deren Gehsteige regelmäßig von Autos zugestellt sind. Am liebsten möchte Lexen diese Straße komplett sperren, will dies aber vorher mit den Gewerbetreibenden am Orte diskutieren. Derzeit können Autofahrer noch bis unter die Vorbauflügel des Fernsehturmes rollen – am bedeutendsten Berliner Nahverkehrsknoten Alexanderplatz eine unmögliche Situation, findet Lexen.

Daß die vorhandenen Gehwege in Mitte generell von parkenden Autos freigehalten und baulich verbessert werden, sei eine „ganz wichtige Geschichte“. An vielen Stellen müssen auch noch die Schilder aus DDR-Zeiten abgebaut werden, die das Gehwegparken erlaubten.

An den Ampeln sollen Fußgänger nicht länger als 20 Sekunden auf Grün warten müssen, damit sie nicht unnötig lange Abgaswolken inhalieren. Nach dem in Tübingen realisierten Modell sollen Passanten mittels Induktionsschleifen an der Straßenübergängen selbst ihr Grün anfordern können. Erwartungsgemäß lehnte die Verkehrsverwaltung Senator Haases diesen Vorschlag einstweilen ab. Doch Lexen will gerade an diesem für ihn wichtigen Punkt nicht klein beigeben und hofft auf ein Einvernehmen mit den störrischen Verwaltungsbeamten. „Daß hier von Verkehrstechnokraten allein gestaltet wird, geht wirklich nicht“, schimpft er. Eines sei klar: „Über die Grünzeitverteilung an Ampelanlagen wird mehr Verkehrspolitik gemacht, als es Diepgen und Haase zusammen tun.“

Wie die meisten Punkte des Verkehrswunschzettels aus Mitte stoßen auch die Forderungen nach weiteren Busspuren und Fahrradstreifen auf der Fahrbahn beim Verkehrssenator bislang auf wenig Gegenliebe. Genehmigt ist bis heute nur eine fünf Kilometer lange Busspur Unter den Linden und auf der Karl-Liebknecht- Straße. Weiter plant man noch, den Bussen auf dem Mühlendamm, dem Molkenmarkt und der Spandauer Straße freie Fahrt zu geben. Mit dieser 300-Meter- Busspur soll es aber auch schon sein Bewenden haben. Die Voraussetzungen zur Einrichtung einer Busspur, eine Frequenz von mindestens 15 Bussen pro Stunde, sei auf den anderen Straßen in Mitte nicht gegeben, heißt es aus dem Hause Haase.

Tiefbauamtsleiter Lexen betrachtet dagegen weitere Sonderstreifen für Busse, Taxis, Rettungswagen und Radfahrer in der Leipziger Straße als „Prüfstein einer neuen Verkehrspolitik“. Der engagierte Behördenleiter: „Nach dem Konzept Senator Haases sollen die Hauptstraßen in Mitte in der Regel nicht mehr als drei Fahrspuren haben. Da dürfte es also folglich mit den Beschleunigungsspuren keine Probleme geben. Wir werden das heftigst erkämpfen.“ Rein faktisch könnte der künftige Verkehr am Potsdamer und Leipziger Platz gar nicht anders abgewickelt werden. Thomas Knauf

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