Die zwei Gesichter der Sozialdemokraten

■ Polens Linke will kein Rollback / Verlangsamung der Privatisierung erwartet

Warschau (taz) – Der Zeiger der Uhr ging bereits auf Mitternacht zu, die Gesichter der Politiker von Polens abgehender Regierung hätten düsterer kaum sein können. Doch Polens exkommunistische Sozialdemokraten hielten sich zurück mit Freudenausbrüchen. Um keinen Preis war Wlodzimierz Cimoszewicz, einem der Führer des „Demokratischen Linksbündnisses“, eine Äußerung zu einer möglichen Koalition abzugewinnen. Parteichef Alexander Kwasniewski betonte, man sei kompromißbereit und bestehe nicht einmal darauf, als stärkste Partei den Premier zu stellen.

Doch zur gleichen Zeit lichtete ein Reporter einen der umstrittensten Propagandisten des Bündnisses, den früheren kommunistischen Regierungssprecher Jerzy Urban, auf der Straße ab, eine überdimensionale Sektflasche in den Armen, mit herausgestreckter Zunge. Beide Bilder repräsentieren Polens Exkommunisten: Die vornehme Zurückhaltung der Parteiführung und die Rachegelüste ihrer Trommler.

Ihre beiden „Gesichter“ verdankt die Partei ihrem Vorsitzenden Alexander Kwasniewski. Im Januar 1990 löste sich die „Polnische Vereinigte Arbeiterpartei“ (PVAP) auf und gründete im gleichen Atemzug die „Sozialdemokratie der Republik Polen“ (SdRP). Damals gab es bereits innerhalb der PVAP eine starke sozialdemokratische Strömung einfacher Parteimitglieder, die für einen radikalen Trennungsstrich eintrat: Der „demokratische Block“ wollte auf das Parteivermögen verzichten, alle bisherigen Funktionäre der PVAP von Führungsämtern in der neuen Partei ausschließen und eine Trennung von den Zentristen und Betonköpfen der Kommunisten vollziehen.

Innerhalb des Blocks hatte man sich darauf geeinigt, geschlossen aus dem Parteitag auszuziehen, sollte man sich nicht durchsetzen können. Alexander Kwasniewski verhinderte das. Von der PVAP- Spitze als Vermittler zwischen den Fraktionen lanciert, hatte er auch das Vertrauen der Sozialdemokraten. Er benutzte es, deren Auszug immer wieder hinauszuschieben. So verließ nur ein Teil des sozialdemokratischen Blocks die PVAP, der Rest vertraute auf Kwasniewski und mußte zusehen, wie in die Führung der neuen Partei frühere kommunistische Funktionäre, Hardliner der Betonfraktion sowie eine kleine Minderheit wirklicher Sozialdemokraten gewählt wurde.

Die neue Partei übernahm das Vermögen der Kommunisten, verteidigte das Kriegsrecht und die anderen Hinterlassenschaften der Volksrepublik und ging in die Opposition. Die sozialdemokratischen Dissidenten verschwanden von der politischen Bildfläche und sind nun erst im Bündnis mit linken Solidarność-Aktivisten wie Ryszard Bugaj und Zbigniew Bujak in der „Union der Arbeit“ wieder aufgetaucht.

Die Redaktion der Trybuna Ludu, formell Organ der PVAP und informell Flaggschiff der Betonfraktion, wurde ausgewechselt, das Blatt ausgedünnt und in Trybuna umbenannt. Doch während sich die Parteiführung jetzt im Wahlkampf weltoffen, tolerant und kompromißbereit gebärdete, betrieb ihr Organ Fundamentalopposition und Nostalgie gegenüber der Volksrepublik. Exponiert wurden Kwasniewski, der formell parteilose Wlodzimierz Cimoszewicz und die konzilianten Wirtschaftsexperten Borowski und Oleksy.

Doch für die frustrierten Wählermassen reisten die ehemaligen PVAP-Politbüromitglieder Leszek Miller und Zbigniew Sobotka übers Land, bis heute Sprecher jenes Apparats, der sich von der PVAP in die SdRP hinübergerettet hat. Und im Schlepptau ihrer Wahlkoalition zogen die Sozialdemokraten nicht nur die früheren kommunistischen Gewerkschaften OPZZ mit, sondern auch den Kattowitzer „Bund der polnischen Kommunisten/Proletariat“, eine orthodoxe Neugründung ehemaliger örtlicher PVAP-Parteibonzen, deren Unterstützung durch die SdRP mit der Aussicht auf mehr Wählerstimmen nicht zu erklären ist.

Bleiben Polens Linke ihrem Programm treu, so wird es auch mit ihnen eine Rückkehr zu kommunistischen Zeiten nicht geben. Die Einführung der Marktwirtschaft und Balcerowiczs wirtschaftspolitische Roßkur sind 1989 mit den Stimmen der Kommunisten verabschiedet worden, exkommunistische Abgeordnete stützten die Regierungen Mazowiecki, Bielecki und Suchocka. Mit ihren Stimmen rettete die Regierung das Gesetz über die Massenprivatisierung und das Budget – gegen die Angriffe der rechten Opposition, die nun mit Pauken und Trompeten untergegangen ist.

Der Versuch der SdRP, Steuererhöhungen mit gleichzeitigen Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen zu verbinden, scheiterte, doch danach stritten sich Sozialdemokraten und Liberale, wer die Idee zuerst gehabt habe. Zurückgedreht werden Polens Reformen also nicht, dafür werden sie langsamer vorangehen: Die Sozialdemokraten sind für eine weniger rasante Privatisierung und gegen eine Restitution enteigneten Besitzes. Erwartet werden kann außerdem ein Dauerkonflikt mit der katholischen Kirche, denn gegen sie kann sich Polens Linke jederzeit profilieren, ohne daß dies Folgen für die Wirtschaft hat.

Außenpolitisch bedeutet dieses Wahlergebnis, daß Polens Nato- Beitritt nun keine Priorität mehr hat. Die EG sollte sich darauf einrichten, auf protektionistische Herausforderungen künftig auch aus Polen protektionistische Antworten zu erhalten – obwohl gerade in diesem Bereich viel davon abhängt, wer Koalitionspartner wird. An Populismus übertreffen alle polnischen Bauernparteien Polens Sozialdemokraten nämlich bei weitem ... Klaus Bachmann