Schwere Zeiten für Lech Walesa

Machtpoker in Warschau: Die Sozialdemokraten wollen die Machtbefugnisse des Präsidenten beschneiden, dieser will eine starke Zweiparteienregierung verhindern  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Der Sieg der „alten Kräfte“ hätte deutlicher kaum ausfallen können: Zusammen mit der ehemaligen Blockpartei PSL haben Polens Sozialdemokraten eine ausreichende Sejm-Mehrheit, um selbständig eine neue Verfassung verabschieden zu können. Und da sich die Demokratische Union – Koalitions-Wunschpartner der Linken – trotzig in die Opposition zurückgezogen hat und jegliche Verhandlungen verweigert, deutet zur Zeit alles auf eine Koalition zwischen dem Linksbündnis SLD und der Bauernpartei PSL hin.

Für Lech Walesa brechen so schwere Zeiten an, denn Polens patriarchalischer Staatschef hat es in den letzten drei Jahren bestens verstanden, die Parteien in Polens zersplittertem Parlament gegeneinander auszuspielen. Auch jetzt versuchte er eine seiner bereits bekannten Nummern: Wie schon bei den letzten Wahlen sollte jede Partei bereits vor dem Urnengang drei Kandidaten für das Amt des Premierministers nennen.

Vor zwei Jahren hatte Walesa so die Demokratische Union als stärkste Partei ausmanövriert, indem er den kontroversesten von drei DU-Kandidaten, Bronislaw Geremek, mit der Regierungsbildung beauftragt hatte. Nach einer Woche mußte dieser dann entnervt aufgeben.

Inzwischen sind die Parteien schlauer geworden, viele beantworteten Walesas Aufforderung erst gar nicht. Polens Sozialdemokraten werden Walesa nur einen Kandidaten vorschlagen, kündigte Führungsmitglied Leszek Miller an. So viel verlangt die Verfassung und keinen mehr.

Kein Geheimnis ist, daß Polens Linke von Anfang an gegen eine Präsidentschaftsverfassung war. Ihr Projekt für Polens Konstitution sieht statt dessen eine starke, dem Parlament verantwortliche Regierung vor; darüber steht ein Präsident, der repräsentieren und vermitteln soll. Eine Vorstellung, die Walesa ein Greuel ist – ohne Unterlaß beklagt dieser, er habe zu wenig Kompetenzen, um wirklich handeln zu können. Nach der derzeitigen sogenannten „kleinen“ Übergangsverfassung hat er Mitspracherecht in der Außen-, Innen- und Sicherheitspolitik und bei der Besetzung dieser Ministerien.

Unter Premier Olszewski gelang es ihm so, dessen Verteidigungsminister regelrecht aus dem Kabinett zu boxen und hinter dem Rücken von Premier und Minister in der Armee und den Geheimdiensten zu intrigieren. Mitglieder der Regierung Suchocka gaben am Ende zu, daß sich das Innenministerium völlig der Kontrolle der Regierung entzogen hat.

Die Zeiten, zu denen Minister dem Präsidenten jeden Wunsch von den Lippen ablesen, gehen nun zu Ende. Führende Sozialdemokraten verhehlen im privaten Gespräch keineswegs, daß sie nicht geneigt sind, sich dem Präsidenten unterzuordnen. Einstweilen demonstriert man guten Willen: „Wir haben nicht die Ansicht, die Kadenz des Präsidenten zu kürzen“, erklärte Aleksander Kwasniewski, der als inoffizieller Kandidat fürs Amt des Premierministers gilt.

Doch dies könnten sie auch gar nicht. Zumindest nach der derzeit gültigen Verfassung kann die aus Sejm und Senat bestehende Nationalversammlung den Präsidenten nur aus dem Amt jagen, wenn er gesundheitlich nicht imstande sein sollte, sein Amt auszuführen.

Walesa aber strahlt geradezu vor Gesundheit. Doch zu den von keiner Partei bestrittenen Aufgaben des neuen Sejm gehört die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, und die kann alles enthalten: von einem Präsidenten nur zum Vorzeigen bis zur Streichung dieses Postens überhaupt.

Auch auf anderen Gebieten droht Walesa eine Beschneidung seines Einflusses. Im Lauf der letzten Jahre hat er in Armee, Polizei und Geheimdiensten und im Bankenwesen seine Macht durch Seilschaften und Intrigen stark ausbauen können, häufig mit Hilfe alter exkommunistischer Kader.

Gerade das kommt Polens neuen Machthabern nun aber sehr entgegen, denn sie erfreuen sich dort immer noch großer Sympathien, wie zahlreiche Indiskretionen aus Polizei und Geheimdiensten an die linke Presse in den letzten Jahren bewiesen haben.

Walesa bleibt somit ein letzter Trumpf: Waldemar Pawlak, den der Präsident schon einmal zum Premier machen wollte, könnte als Regierungschef die Machtbeschneidung Walesas verhindern. Damals scheiterte die Inthronisierung des Chefs der Bauernpartei am Widerstand der rechten Parteien, doch diese sind heute nicht mehr im Sejm vertreten. Eine Mehrparteienkoalition ohne das linke Wahlbündnis wäre von Walesa zudem leichter zu beeinflussen als eine Regierung, die sich auf zwei große Parteien stützt.