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Bronzezeit unter dem Asphalt

■ Sensationelle Grabungsfunde bei Lüneburg verschwinden unter der Autobahn   Text und Fotos von Peter Behrendt

Auf der großen sandigen Fläche liegen überall Schaufeln, Spachtel, Handfeger, Zollstöcke und Eimer. Im Hintergrund arbeiten größere „Werkzeuge“. Bagger, Raupen und Walzen wühlen sich durch das Gelände. Etwas abseits dösen zwei Bauwagen in der spätsommerlichen Sonne. Es ist Mittagszeit.

Hier wird nicht etwa ein neues Haus gebaut. Es geht vielmehr um sehr alte Häuser. Die Leute, die hier arbeiten, sind Archäologen. Und was sie ausgraben, ist in Fachkreisen schon jetzt als „Sensation“ bezeichnet worden.

Vor zwei Monaten stießen Bauarbeiter bei Buddeleien für das Endstück der neuen Autobahnverbindung Maschen - Lüneburg auf ein Hünengrab. Aber was noch wichtiger war, es fanden sich in unmittelbarer Nähe die besterhaltenen Grundrisse zweier Häuser aus der Bronzezeit, die je entdeckt wurden.

Kaum zu glauben, daß ab kommenden Dienstag alles unter Asphalt verschwinden soll, daß über diese historische Stätte bald täglich tausende von Autos brettern werden. Der Platz liegt in unmittelbarer Nähe zur Bundesstraße 4, kurz vor dem Ortseingang von Lüneburg. In der Nähe rauschen die Züge in Richtung Hamburg oder Hannover vorbei.

Die Fläche nennt sich „Grabungsfläche“. Das heißt, hier sind ArchäologInnen und HelferInnen damit beschäftigt, uralte Funde freizulegen. Aus der Nähe wird ein etwa 30 Meter langer fast ovaler Graben erkennbar. Fünf Meter weiter liegen einige sehr große Steine, teilweise übereinander. Dazwischen ein Gewirr aus im Boden steckenden rot-weiß gefärbten, großen Nadeln und in die Erde geritzten Markierungen. Etwas befremdlich für den Beobachter, der so schnell nichts damit anzufangen weiß.

„Wir haben hier den Grundriß eines der zwei Häuser, der durch die „Nadeln“ markiert ist, fast freigelegt. Um zu sehen, wie tief die Wände ins Erdreich gingen, mußten wir entlang des Grundrisses ein Profil schneiden – daher der 'Graben'“, erklärt Dr. Willi Gebers. Er ist Chef des Institutes für Denkmalpflege in Hannover und leitet die Grabung.

Das „missing link“ zwischen Bronze- und Eisenzeit findet sich vor den Toren Lüneburgs

Während seine 10 HelferInnen zum Mittagessen in die Bauwagen gegangen sind, muß er von einer Alu-Leiter aus fotografieren. „Leider kann ich noch nicht zum Mittag, die Sonne steht gut, die Fotos müssen jetzt gemacht werden“. Die Grabung steht unter Zeitdruck. Überstunden sind die Regel. „Die Befunde dieser Grabung sind deshalb sensationell, weil wir bislang keine so gut erhaltenen Hausgrundrisse aus der Bronzezeit gefunden haben“, erläutert Dr. Gebers.

In der Tat, die Spuren im Sand sind unübersehbar. Die Häuser waren 28 Meter lang und ungefähr drei Meter breit. Neben den Er-gebnissen der chemischen und radiologischen Untersuchungen, die auch bei dieser Grabung durchgeführt wurden, um das Alter der Funde zu bestimmen, deutet noch eine ganz andere Erkenntnis darauf hin, daß es sich bei den Häusern um Überreste aus der Bronzezeit handelt. Dr. Gebers: „Das Besondere an den Grundrissen, die wie hier entdeckt haben, ist deren Gliederung. Es handelt sich um Wohn-Stallhäuser, mit abgetrennten Räumen für das Vieh, und unterirdischen Speicher- und Vorratsräumen“.

In der Eisenzeit waren die Häuser anders unterteilt, außerdem gab es separate Ställe neben den Wohnhäusern. Die Steinzeit wiederum kannte nicht diesen großen Haustyp. Für Dr. Gebers ist somit das „missing link“, das fehlende Stück zwischen den Geschichts-Perioden, zum ersten Mal hier nachgewiesen worden.

Vom 50 Meter langen Hünengrab sind nur noch wenige Steine übrig

Um welche Zeit geht es eigentlich, wenn wir von Stein-, Eisen- und Bronzezeit sprechen, möchte ich von Dr. Gebers wissen. Der freundliche Herr im Jägerlook gibt geduldig Auskunft: „Die Steinzeit reichte bis um 1500 vor Christus, darauf folgte die Bronzezeit und im Anschluß daran, ab 700 vor Christus, begann die Eisenzeit. Die ging bis ins Mittelalter“.

Das Großartige an der Bronzezeit war, daß die Menschen zum ersten Mal in der Geschichte begannen, Metalle zu veredeln und für ihre Zwecke zu benutzen. So konnten Speere und Pfeile mit Bronzespitzen, Kochgeschirr und Schmuck aus Bronze hergestellt werden.

Eben ist eine Schulklasse aus Bardowik eingetroffen, die mit ihrem Lehrer einen Rundgang über das Gelände machen will. Die 10- bis 12-jährigen SchülerInnen interessiert vor allem, wer denn hier gelebt habe. Für Dr. Gebers ist diese Frage nicht zu beantworten. „Mit Sicherheit läßt sich nur sagen, daß die Siedler aus dem indogermanischen Sprachraum stammen, was aus Namensbildungen von Hügeln, Seen und Flüssen in der Nähe ersichtlich ist“. Bis heute ist lediglich bekannt, daß in dieser Gegend auch die Langobarden siedelten – allerdings erst zwischen 200 vor und 390 nach Christus. Danach zogen sie nach Italien. Der Name Bardowik deutet noch heute auf ihren Aufenthalt in diesem Gebiet hin.

Doris Fischer, eine Grabungtechnikerin, hat die Führung der Klasse übernommen. Wir gehen zu dem „Steinhaufen“. „Sieht aus wie bei Asterix“, meint ein Mädchen. „Richtig, das hier sind die Überreste des großen Hünengrabes. Von dem ursprünglich 50 Meter langen Grab sind jetzt aber nur noch diese wenigen Steine übrig.“ Dr. Gebers blickt zufrieden über die Grabung. Nächste Woche kommen die Maschinen. Alles, was hier jetzt noch zu sehen ist, wird mit Teer und Beton zugeschüttet.

Es tue ihm etwas weh, daß „diese ganzen großartigen Funde einfach so verschwinden“, meint Dr. Gebers. Aber: „Wir können froh sein, daß wir überhaupt die Möglichkeit hatten, diese Sachen wenigstens zu dokumentieren“.

Acht Wochen wurden ihm und seinem Team von der Stadt und den Baufirmen genehmigt, um diese wichtigen historischen Funde zu zeichnen, zu messen und zu kartographieren. „Leider gibt es keine Möglichkeit, das hier zu retten“, sagt er mit leiser Wehmut in der Stimme: „wo Milliarden in der Bausumme stehen, können wir nichts machen“. Leider. Im übrigen sei er froh darüber, daß die Firmen Verständnis hatten. Paradoxerweise wären ohne das Abtragen der oberen Erdschichten durch die Baumaschinen diese Befunde „im Verborgenen“ geblieben.

„Wenn das Wetter mitgespielt hätte, wären wir jetzt weiter“. Hans Frese ist einer der zehn ABM-Kräfte, die hier arbeiten, und „ohne die diese Grabung gar nicht hätte durchgeführt werden können“, wie Dr. Gebers lobt. Hans Frese ist seit 1991 auf Grabungen tätig. Er hat sich „sozusagen innerhalb des Teams zum Zeichner fortgebildet“.

Im Winter frieren den Vermessungszeichnernschon mal die klammen Finger ein

Seine Aufgabe ist die Vermessung und maßstabsgerechte Eintragung der Befunde auf Millimeterpapier. „Die Arbeit macht mir Spaß, weil ich immer draußen bin“. Wenn allerdings eine „Notgrabung“ wie diese im Winter anliegt, kann es unangenehm werden, „dann frieren beim Zeichnen die Finger ein“. Aber im Winter „werden im Institut eher die Zeichnungen überarbeitet und archiviert“.

Ein paar Meter weiter knien Klaus Dreger und Rolf Wienert im Sand. Dreger ist beim Verwal-tungsamt Lüneburg seit acht Jahren als Grabungshelfer beschäftigt: „Wir füllen hier Erdproben aus dem Innenraum der Grundrisse ab“, erzählt er. „Die Proben werden im Labor auf Phosphatspuren untersucht“. Phosphat, ergänzt sein Kollege Wienert, lasse sich in den Exkrementen von Haustieren nachweisen. Tatsächlich wurden schon Phosphate im Bereich der Häuser gefunden und damit Dr. Gebers Vermutungen bestätigt.

Ihm und seinen HelferInnen bleiben noch drei Tage. Dann geht es woanders hin, wo die nächsten Funde warten – denn davon, freut sich Dr. Gebers, „gibt es in dieser Gegend noch genug“.

Zusammen mit der Schulklasse verlasse ich das Gelände. 150 Meter weiter wird schon asphaltiert.

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