Wand und Boden
: Trotzdem sprießend

■ Kunst in Berlin jetzt: Die nackte Republik, Community Gardens, Rinaldo Hopf und Martin von Ostrowski

Die leidenschaftliche Beschäftigung mit dem Tabubruch als politisch korrekt zu verkaufen ist eine ziemlich perfide Art, von sich reden zu machen. „Grausamkeit“ nennen Martin von Ostrowski und Rinaldo Hopf ihre Ausstellung. Ostrowski beschäftigt sich vorgeblich mit einer Vergewaltigung eines Bundeswehrsoldaten durch drei seiner Kameraden, die im April dieses Jahres vor Gericht verhandelt wurde. Den Vorfall schmückt er nach eigener Maßgabe aus und zeigt die „Vergewaltigung“, Öl auf Leinwand, 250x180 cm, als Vergnügen dreier schnurrbärtiger Männer, die sich an ihrem schreienden nackten Opfer im Freien vergehen. Hopf arbeitet weniger realistisch, und so ist seine Synthese von Schmerzensmann und Schwulenporno leichter zu verstehen, nämlich als Bekenntnis zu etwas, was man gewissermaßen will, aber nicht wirklich will. In einer golden ausstaffierten Vitrine zeigt er die Werkzeuge „Bei uns daheim“: Axt, Messer und Gartenschere. Camp goes splatter.

Sado-Masochismus, sagen Bastian Finke und Jens Dobler für das Schwule Museum, hat „nichts mit antischwuler Gewalt zu tun“ – weshalb sie auch die Verbindung herzustellen nicht hätten zulassen dürfen. Eine Vergewaltigung malerisch auszuschmücken ist eine Sache. Die andere ist, eine „Rose für die Opfer“ zu malen, Öl auf Nessel, 100x100 cm. Mit Ambivalenzen lassen sich keine Waffen schmieden. Wenn man die unzulässig verkürzten Interviews zum Thema „Opfer werden“ im Katalog (Verlag Rosa Winkel, 6DM) liest, kommt einem schon der Gedanke, die Betreffenden sollten gelegentlich mal ein Buch lesen. Ihre Geschichten sind nicht einmalig und längst mit analytischer Präzision beschrieben worden. Es gibt keinen Grund, mit selbstgemachter Verwirrung in einer schwierigen Situation hausieren zu gehen. Es gehört zu den Grundsätzen der Emanzipation, das, was man träumt oder inszeniert, streng zu trennen von dem, was man zum eigenen Leid nicht verhindern kann.

Mehringdamm 61, 2. Hof, 3. Etage. Mi.–So. 14–18 Uhr. Bis zum 17. Oktober

Es ist der suggestivste Ort, den ich seit langem gesehen habe, zu finden hinter dem Hinterhof der Waldemarstraße 40. Von einer Transformatorenfabrik ist nichts geblieben als deren vier Wände, auf einer Seite abgestützt durch schräge Holzbohlen, was den transitiven Charakter des Fast- Raums (Fast-Platzes) verstärkt. Im Rechteck ist mittig ein grüner Garten angelegt worden, ein Wäldchen aus Götterbäumen, jenen farnartigen Bäumen, die in südlichen Großstädten an den unmöglichsten Stellen unter kargen Bedingungen sprießen. Hier, allerdings, hat Ralf Steeg sich die Erde und die Bäume aus den Lorberg-Baumschulen geliehen und extra für diese Veranstaltung, die man bis zum 3. Oktober nicht versäumen sollte zu besuchen, in die ehemalige Fabrik gepflanzt. Man muß einen Trampelpfad durch das Wäldchen begehen, um die Fotos näher betrachten zu können, die Antonia Weiße von Community Gardens in New York gemacht hat. Die Farbfotos sind, mit ein paar Kniffen, auf die rohe Backsteinwand gebracht. Sie zeigen jene Gärten, die New Yorker Bürger, vor allem in Brooklyn, in Harlem und in der Bronx, auf Abrißgrundstücken betreiben; etwas zwischen Garten, Kleingarten und Kleinstpark. Die Community Gardens werden privaten Initiativen auf Antrag zur Verfügung gestellt, bekommen Hilfe durch den Staat und freiwillige Helfer und müssen aufgegeben werden, wenn die Grundstücke verkauft oder bebaut werden. Auf einem Foto sieht man einen Garten mit etlichen großen Teddybären, in einem anderen flattert die US- Flagge zwischen zwei Flamingos aus Plastik, und ein dritter, eher eine Hofanlage, beherbergt zwei türkis gestrichene Marienschreine.

Die Ausstellung und ihr Ort lenken die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, daß kleine offene Gärten und Parks in Berlin keinen vermittelbaren Status haben; sie gehen schnell kaputt. Kiezinitiativen zuzulassen wäre eine Möglichkeit, die andere die Pariser: Zaun drum, und um sechs wird abgeschlossen. Wichtig ist, daß die Benutzer sehen, daß sich jemand kümmert. Dann stellt sich das soziale Leben von selbst ein.

Botanisches Büro und Kiezgrün, Büro für Städtisches Grün des Kotti e.V.: „Gärten in der Stadt. Community Gardens“. Mi.–So., 14–18 Uhr

Nur noch dunkel erinnert man sich an Debatten, was denn die zu rettenden Tugenden der DDR seien, als könne die Rettung von Traditionen beschlossen werden. Tatsächlich haben sich längst Nischen und Initiativen aufgetan, in denen die DDR- Identität nostalgisch, und im besten Fall auch ironisch, gespiegelt wird; und damit fragmentarisch erhalten oder akzidentell verworfen. Zu solchen Initiativen gehört auch die Idee der seit 1924 (und noch) existierenden Unterhaltungszeitschrift Das Magazin an ihre Leserinnen und Leser, „ihre persönlichen Alben und Archive zu plündern“ und der Redaktion „ihre Aktfotos zu schicken“. Jetzt, zwei Jahre später, werden die Fotos im gut besuchten Foyer der Berlin Stadtbibliothek gezeigt.

„Bilder über Bilder“ seien gekommen, heißt es in einer kurzen Mitteilung der Initiatoren, und ganz unfreiwillig haben sie recht. Das private Nacktfoto ist ein Subsubgenre, das immer anderen Genres ähnelt und sie paraphrasiert: das freundschaftliche Portrait, das propagandistische FFK-Bild, die sogenannte erotische Studiofotografie. Das Kuriose an dieser Art von Fotografie sind ja nicht die frivolen Gesten, die Tapeten im Hintergrund und die ungeschickt ins Bild gesetzten Körper, sondern das Einverständnis von Fotografierenden und Fotografierten, das den Betrachter ausschließt oder vielmehr als Betrachter nur die Beteiligten zuläßt. Indem die Ausstellung mit dem Code bricht, offenbart sie seine Regel. Harmlos ist das, was sich offenbart, dann eigentlich nicht mehr zu nennen.

Mit pink drapierten Säulen, wechselnd weißen, schwarzen und violetten Passepartouts, mit bis zu acht Fotos unterschiedlicher Herkunft in einem Rahmen ist diese Ausstellung allerdings von begrenztem Auskunftswert. Auch der Hit der Show, das absolute Durchschnittspaar, das sich selbst auf einem Waldweg vor dem hellblauen Trabi fotografiert, ist vielleicht schon eine „Fälschung“; dann nämlich, wenn das Bild nach 1989 gemacht wurde, was man nicht wissen kann, weil die Fotos nicht datiert sind (siehe auch Kultur überregional heute).

„Die nackte Republik. Aktfotografien aus 40 Jahren im Osten“. Breite Straße 32–34, Berlin-Mitte. Bis zum 28. Oktober, Mo. 14–21, Di.–Fr. 9–21, Sa. 9–16 Uhr

Ulf Erdmann Ziegler