Sydney ist besser als Peking

■ Feier am Brandenburger Tor / Mir kann keener, sagt der Berliner, the show must go on

So oder so, die Korken werden knallen, war das Motto der Olympiafete am Brandenburger Tor. Über 50.000 Menschen erlebten um 20.28 Uhr den Zuschlag für Sydney. Eine atemlose Schrecksekunde und dann – noch eine Überraschung – Jubel.

Wunderkerzen werden geschwenkt, Leuchtraketen abgefeuert, Hunderte von Olympia-Luftballons steigen in den Himmel, Frisbee-Scheiben fliegen über die Menge und einige Punkt-Punkt- Komma-Strich-Käppis auch. Die Spannung entlädt sich in einer Weise, die Psychologen „konträre Intervention“ nennen – gerade so wie bei einem Schockpatienten, der lachend hinnimmt, daß eben die Mutter gestorben, das Haus abgebrannt und die Kinder verschwunden sind.

Aber auch diese Schrecksekunden sind schnell vorbei. Die Erde öffnet sich nicht, die Welt geht nicht unter, und der Berliner wäre „keener“, wenn ihm „eener“ könnte. Die Fotografen sind auf der Suche nach einem tränenüberströmten Gesicht und finden keines.

Aber André Nowak aus Mariendorf hat schauspielerisches Talent. Der achtzehnjährige im vollen Olympia-Solidaritätslook mimt grenzenlose Trauer und posiert für Sat.1, n-tv und einen ganzen kamerabewaffneten Pulk. Als Nachzügler die gleiche Show noch einmal wollen, wehrt er unwillig ab: „So lange kann doch keiner heulen.“ Aber dann erweist er sich doch als kooperativ, und sein Bild fand sich gestern in einer großen Zeitung.

Vom Podium hört man Franziska van Almsick dem Sieger gratulieren und Berlin trösten; kurz zuvor hatte sie unter großem Gelächter zugegeben, bei der Präsentation vom Teleprompter abgelesen zu haben. Laurien, Präsidentin des Abgeordnetenhauses, verdrückt sich leise, wenige Minuten vorher war sie gewaltig ausgebuht worden. Wieso, ist nicht ersichtlich, vielleicht will man keine Politiker mehr hören, am Brandenburger Tor feiern vorwiegend Ostberliner. Ein Rastabezopfter jubelt einem Trupp Polizisten ein „Juhu“ entgegen, „halt's Maul, du Furzer“, schallt es zurück. Es ist 20.45 Uhr, aber das Fest ist noch nicht zu Ende.

Auf der Video-Leinwand erscheint das Standbild „Sydney, wir kommen“. Eine australische Touristengruppe schwenkt vor der Hauptbühne begeistert die Nationalfarben, die mitgebrachten Sektflaschen lassen sie großzügig kreisen. Rockgruppen heizen den etwa 10.000 Verbliebenen kräftig ein. Rund um das Brandenburger Tor wird plötzlich lebendiger gefeiert als in all den Wartestunden mit Rhönrad, Karate, Seniorengymnastik und Kindertänzen zuvor. The Party must go on, Sydney ist besser als Peking, Berlin 2004 heißt die Devise, und die schönen gelben Olympiabärchen gibt es ab 21 Uhr zum absoluten Ausverkaufspreis.

Feier versaut

Bärchengelb total war auch das Motto auf der Olympiagala im Hotel Intercontinental, an der in drangvoller Enge nahezu 2.000 Menschen teilnahmen. KeineR, die nicht mit Bärchen-Krawatte oder Anstecknadel Flagge für Berlin zeigte. Dort trafen sich alle, die meinen, dazuzugehören in der Stadt; die schmuddlige Goldkettchenfraktion ebenso wie die Spekulanten, für die Olympia in Berlin vor allem klingelnde Kasse bedeuten sollten. Unübersehbar ist deshalb die Enttäuschung über die entgangenen Geschäfte. Schadlos hält man sich am Büfett und säuft sich die Birne zu. Die Politi„k dagegen läßt sich nicht blicken; der ehemalige Kreuzberger Bürgermeister Krüger (CDU) durfte sich als Spitze der Prominenz fühlen. Anita Kugler/Gerd Nowakowski