: Grüne Lobby für Besserverdienende?
■ betr.: „Rückmarsch in die fünfzi ger Jahre“, taz vom 11.9.93
Wie die Zeiten sich „wenden“: der CDU-Finanzsenator Pieroth macht den Vorschlag, daß Besserverdienende die Schulbücher für ihre Kinder selbst bezahlen sollen, damit die Lernmittelfreiheit für sozial Schwächere finanzierbar bleibt, und die schulpolitische Sprecherin der Grünen, Sybille Volkholz, kommentiert dies als „Rückmarsch in die Fünfziger Jahre“. Ihr Argument: Die Kinder bedürftiger Eltern werden „diskriminiert“, weil ihnen „zugemutet“ wird, Unterstützungsanträge zu stellen. Nach dieser Logik müßten wir das Wohngeld zugunsten eines pauschalen städtischen Mietzuschusses auch für Villenbesitzer abschaffen, damit den Anspruchsberechtigten der „diskriminierende“ Amtsgang erspart wird.
Kein Wort verliert Frau Volkholz darüber, daß den sozial Schwächeren bei einer Änderung des Lernmittelfreiheitssytems geldwerte Vorteile entstehen, da sie statt der überalterten Leihbücher kostenlos oder fast kostenlos eigene Bücher erwerben können, die für das weitere Lernen genutzt oder auch — wie in Rheinland- Pfalz und im Saarland — auf „Schulbuch-Flohmärkten“ gewinnbringend weiterverkauft werden können. Wer nimmt dafür nicht das „diskriminierende“ Ausfüllen eines Antrages in Kauf? Zumindest in den genannten Bundesländern haben die Eltern damit keine „Probleme“.
Fragt man sich, wie es zu einer solchen — auch in der GEW verbreiteten — Vorstellung über Sozialpolitik kommt, dann drängt sich der Verdacht auf, daß eine den Studentenlatschen längst entwachsene „Linke“, die selbst bereits zu den Besserverdienenden gehört, mit abgedroschenen Gleichheitspostulaten eigene Besitzstände verteidigt. Mit sozialstaatlichem Denken hat dies jedenfalls nichts mehr zu tun. Rino Mikulic, Verband der Schulbuchverlage, Frankfurt/ Main
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen