■ Das Porträt
: Anna Magnani

Zehn Minuten dauert die Szene, in der Mamma Roma begreift, daß ihr Versuch, zwanzig Jahre Hurendasein zu beenden, fehlgeschlagen ist. Zunächst verzweifelt trippelnd, dann schreiend, grölend, lachend, einen Troß grinsender Parias hinter sich herziehend, gibt sie auf. Sie kommt nicht heraus aus dem Müll, der zwischen den Betonklötzen in die Höhe wächst und das ganze stolze Subproletariat zu verschlingen droht – also läßt sie den Sektkorken knallen. Pasolini hoffte, ein Hauch von Anarchie könnte die Menschen in den Vorstädten gänzlich in die Revolte treiben. (Statt dessen haben sie ihn erschlagen.) Anna Magnani, die einzige Schauspielerin, die sowohl die Vulgarität als auch die Verzweiflung, die Anstrengung und das kleine Geheimnis dieser Figur zu produzieren imstande war, ist heute vor zwanzig Jahren an Krebs gestorben.

Sie ist eine Vaterlose. Ihre Mutter, eine Näherin, hatte einen Ägypter geheiratet, den die Magnani nie zu sehen bekam. Aus ihrer Geburtsstadt Alexandria wurde sie nach Rom zur Großmutter geschickt, und vielleicht stammt das Rohe, Mißtrauische und Heimatlose, das sie mitunter ausstrahlte, aus jener Zeit.

Mamma Roma Foto: Paramount

Auch wenn sie sich nie dagegen gewehrt hat, die Actrice des Neorealismus zu sein (das heißt vor allem: nicht zu chargieren), bestand sie doch darauf, ihr Handwerk zünftig gelernt zu haben, und zwar in der harten Schule des Revuetheaters. Nun gut, sie heiratete ihren ersten Regisseur, aber er und viele andere waren Strohfeuer gegen Roberto Rossellini, der sie mit „Roma città aperta“ (1945) zu der Frau machte, die der blasierten faschistischen Schauspielerszene mit ihren weißen Telefonen den Abgesang gab. Ihr Leben zerfiel in kleine Stückchen, als das Telegramm von Ingrid Bergman kam, das ihren Liebsten gnadenlos zu der Zarteren, Leiseren führte. Auch der Wechsel nach Hollywood („A Rose Tattoo“) hat sie nicht gerettet, so richtig heil ist ihr Leben nie mehr geworden.

Wer ist da sonst noch? Wer geht mit so einem Unglück auf die Leinwand; wer lacht so laut, mit so einem Körper, so roh, so liebevoll, so großzügig-verschlampt? Wenn die Moreau, Bulle Ogier und Gena Rowlands nicht mehr spielen, müssen wir dann mit den Juliette Binoches vorliebnehmen.

mn