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Leben in einem Parallelogramm

Die neue Wohnanlage des Architektenpaares Nalbach am Volkspark Wilmersdorf ist hübsch anzusehen, aber schlecht zu bewohnen / Alle Räume haben schiefe Grundrißformen  ■ Von Rolf Lautenschläger

Gewisse Dinge hat heute jede Wohnung: Fenster und Türen, häufig die Küche und das Bad, Zimmer zum Wohnen und Schlafen. In der Regel besitzen alle Wohnbauten diese Standards. Das macht sie aber noch lange nicht zu einer guten Wohnung. Deren Grundriß ist geprägt von hoher Flexibilität, hellen Zimmern und gut geschnittenen Arbeitsräumen, Nischen für die Behaglichkeit und Flecken, in die man etwa die Kickschuhe hinschmeißen kann, ohne daß gleich die ganze Familie drüberstürzt. Übrigens sollten alle Architekten in der Lage sein, diese Prinzipien selbst – oder gerade – im sozialen Wohnungsbau zur Geltung zu bringen, trotz aller Vorschriften, ökonomischen Knappheiten und DIN-Normen.

In der neuen Wohnanlage der Berliner Architekten Johanne und Gernot Nalbach am Wilmersdorfer Volkspark findet sich wenig von diesen Standards für eine „gute“ Wohnung, obwohl das Haus für 33 Wohnungen mit viel Geld, nämlich für rund 11 Millionen Mark, errichtet wurde. Auf den ersten Blick will man das nicht glauben, denn der fünfstöckige Riegel ist hübsch anzusehn. Die geschoßhohen Fensterfronten zur Straße und im Hof mimen Transparenz, die in vier „Glashäuser“ aufgelöste Vorderseite hat etwas richtig „Städtisches“.

Modern gibt sich die Architektur mittels horizontaler Stahlprofile, die bandartig die „Häuser“ zusammenhalten, modern auch mittels glatter Kuben, schnittig ausgestellter Balkone und einem ausschwingenden Dach, dem „Flügel“. Die auskragende Konstruktion haben die Architekten aus dem Tonnendach abgeleitet, das so wie ein Torbogen die Durchfahrt tief unten überspannt. Nichts zu sagen ist gegen den so wiederhergestellten Stadtraum. Jetzt läuft die Durlacher Straße wieder mit Schwung um die Ecke – zur „Rias- Pizzeria“. Und endlich fand man einmal den Mut, auch Kleingartenanlagen ins Bauprogramm aufzunehmen.

Alle Vorzüge der Wohnanlage aber haben den dummen Nachteil, daß man in ihnen nur schlecht wohnen kann. Am wenigsten schlimm ist vielleicht, daß das Haus einem Glasbaustein gleicht, in dem sich kein Versteck finden läßt und der die Bewohner hinter den Glasfronten wie auf dem Präsentierteller ausstellt. Sicher ist, sie werden mit dicken Gardinen oder Rolläden reagieren, um gleichermaßen Helligkeit und voyeuristische Blicke auszusperren. Weniger schlimm ist noch, daß die Balkone Hochsitzen für Tennisschiedsrichter ähneln und die Dachterrasse als Ausguck zur Autobahn dient. Warum die Architekten allerdings alle Wohnräume mit schiefen Grundrißformen planten, leuchtet nur noch schwer ein. Das führt zu toten Ecken, bei einem großen Bett gucken die Fußzehen quasi aus dem Haus heraus. Spezialanfertigungen für Schränke, Bänke und Regale sind nötig, und die Mieter bezahlen für Quadratmeter, die sie höchstens beim Staubwischen kennenlernen.

Die unbequemen spitzen und stumpfen Winkel haben ihren Grund in der schiefen Wand des Nachbarhauses, an das die Nalbachs anbauten. Sie multiplizierten den Knick quasi in jedem Wohnraum fort. Außerdem gab die schräge Lage der Straße im Stadtgrundriß den Wohnungen den Rest. Zugleich mußte ein guter Abschluß zum westlich gelegenen Hochhaus her. Der ist spektakulär gelungen, auch wenn der Flügel als Verbindungselement zwischen Hochhaus und Wohnbau aufgesetzte Chiffre bleibt. Gut und schön, denkt man, alles in allem. Oder doch nicht? In einem Parallelogramm leben ist jedenfalls keine runde Sache.

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