„Botschaftsmafia“ soll Landsleute ausplündern

■ Schwere Vorwürfe von Beratungsstellen: Vietnamesische Ex-Vertragsarbeiter erhalten Pässe nur gegen Schmiergeld

Die ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter aus Vietnam, die bei ihrer Botschaft in Berlin Nationalpässe beantragen, müssen über die Gebühren hinaus Schmiergelder bezahlen. Dies behaupten verschiedene vietnamesische Beratungsstellen sowie Caritas-Behörden in Berlin und Westdeutschland. Aus Sicherheitsgründen wollen die Beratungsstellen weder genannt werden noch identifizierbare Fälle schildern. „Verräter müssen um ihr Leben fürchten“, oder „Angehörige in Vietnam könnten drangsaliert werden“, heißt es. Übereinstimmend berichten sie, daß bei der Außenstelle der Sozialistischen Republik Vietnam in der Königswinterstraße „mafiaähnliche Strukturen“ bestehen. Botschaftsmitarbeiter würden Anträge für die Neuausstellung eines Nationalpasses nur dann bearbeiten, wenn gleichzeitig ein Briefumschlag mit mehreren hundert Mark überreicht wird. Die Höhe der Summe werde willkürlich festgelegt. So wurden Mitte August von einem aus Norddeutschland angereisten Ex-Vertragsarbeiter 1.000 Mark verlangt. Weil er dieses Geld nicht dabei hatte, sollte er im September erneut in Berlin erscheinen. Bei seinem zweiten Besuch verlangte ein anderer Angestellter hingegen „nur“ 500 Mark. „Ohne Extragelder läuft gar nichts“, berichtete eine Beratungsstelle. Laut einer in der Botschaft ausgehängten Gebührenordnung koste ein neuer Paß 110 Mark, tatsächlich seien aber zwischen 250 und 500 Mark hinzublättern. „Die Vietnamesen sind der Botschaft völlig ausgeliefert“, sagen sie unisono. Denn ein gültiger Paß (plus Arbeit und Wohnung) ist laut Beschluß der Innenministerkonferenz vom Sommer Voraussetzung, um als Ex-Vertragsarbeiter in der Bundesrepublik ein unbefristetes Aufenthaltsrecht zu bekommen. Die Duldungsfrist läuft am 17. Dezember aus. Um den Paß aber bis dahin zu bekommen, müssen die Vietnamesen bei der Botschaft beweisen, daß sie ihren, aus Angst vor einer Abschiebung gestellten, Asylantrag bei der Ausländerbehörde zurückgezogen haben. Mit den Schmiergeldern „rächen“ sich jetzt Botschaftsangehörige an „Dissidenten“, vermutet ein Berater, denn laut vietnamesischem Recht ist ein Asylbegehren strafbar. So sei es auch vorgekommen, daß die Botschaft neben Extrageld eine Kopie des Asylbegehrens verlangt habe. „Wohl um Angehörige mit Details unter Druck setzen zu können“, vermutet er. Es sei auch bekannt, daß die Botschaft Pässe von Vertragsarbeitern, die nach 1990 Asyl beantragten, an andere Vietnamesen teuer verkauft habe. Wenn diese Menschen aber jetzt das Asylbegehren zurückziehen und einen Paß beantragen, erhalten sie mit viel Geld einen – den es dann faktisch zweimal gibt.

All diese „skandalösen Praktiken“ seien nicht zu beweisen und „deshalb leider nicht zu ändern“, sagen Experten. Denn die Botschaft ist exterritoriales Gebiet. Ein offenes Geheimnis ist hingegen, daß die Vietnamesen, die bereits einen Paß haben und mit diesem nach Vietnam fliegen wollen, für ein Besuchervisa Tausende von Mark zahlen müssen. Vietnam ist das einzige Land der Welt, das von seinen im Ausland lebenden Bürgern einen Visaantrag fordert. „Wer nicht kräftig zahlt, muß auf Heimaturlaub verzichten“, heißt es bei der Caritas. Die Regel ist allerdings, daß Visa abgelehnt werden, denn „die Republik fürchtet die verwestlichten Bürger wie der Teufel das Weihwasser“.

Die Botschaft hingegen bestreitet all diese Behauptungen. „Nichts als gemeine Verleumdungen“, sagt ein Angestellter, der seinen Namen nicht nennen wollte. Er vertritt vielmehr, daß sich Landsleute „bereichern“, weil die Antragsteller nicht persönlich bei der Botschaft zu erscheinen brauchen, sondern einer „Person des Vertrauens“ eine „Vollmacht“ geben können. Illegale Geldgeschäfte gebe es bei der Botschaft nicht. „Absurd“ sei auch der Verdacht, daß Pässe zweimal ausgestellt wurden. Daß Visaanträge abgelehnt werden könnten, sei im übrigen „internationales Recht“.

Ebenfalls nichts von Schmiergeldern weiß Dr. Huong, im Büro der Ausländerbeauftragten tätig. Ihm sei aber bekannt, sagte er, daß die Botschaft bei der Neuausstellung eines Passes nachträglich die in der Endphase der DDR nicht gezahlten „Beiträge zum Aufbau des Sozialismus und Vaterlandes“ verlange. Früher wurden den Vietnamesen für diesen Zweck zwölf Prozent des Bruttoeinkommens abgeknöpft. Eine Behauptung, die das Generalkonsulat in Bonn ebenfalls als „ausgekochte Lüge“ bezeichnete. In Deutschland leben noch 15.000 Ex-Vertragsarbeiter, von denen mehr als die Hälfte neue Pässe brauchen. Diese gibt es nur in Berlin. Anita Kugler