Eigentlich Theater

■ Was man weiß, will man auch mitteilen. Das „Project Unité“ im französischen Firminy: Wie durch Kunst einen Le Corbusier verbessern?

Der eigentliche Anlaß meiner Reise nach Firminy war die Ausstellung „Project Unité“. 38 KünstlerInnen stellen dort in der leeren Etage eines sozialen Wohnungsbaus (29 Appartements) aus. Aber es ist nicht irgendein Haus in irgendeiner französischen Stadt. Firminy, dieses Industriestädtchen ohne Industrie in der Nähe von Lyon, mit hoher Arbeitslosigkeit, Firminy also ist ein Wallfahrtsort für Le-Corbusier-Fans. Stadion, Kulturzentrum, die halbfertige Kirche und eine „Wohnmaschine“ stehen dort. Der Ausstellungsort ist eine unbewohnte Etage in Le Corbusiers Wohnmaschine, die hier, anders als in Marseille, nicht den Stolz der Stadt demonstriert, sondern halb verrottet ist. Die Nordhälfte, das heißt über 200 Appartements, wurde vor zehn Jahren auf Beschluß der Stadt geschlossen. Die Architektur-Monumente im Alltag des Städtchens zu sehen, Vergleiche zur Unité in Marseille anzustellen, die Eigenarten der Wohnmaschine zu ergründen, die Träume der Moderne zu überprüfen – all das ist harte Konkurrenz zur Kunstausstellung. Zumal die meisten Ausstellungsbeiträge derartig beliebig sind, daß die Spuren der ehemaligen Appartementbewohner die gesamte Spannung für sich verbuchen können – wenn die Künstler denn die Tapeten sichtbar ließen und nicht die Räume in braver Gewohnheit in weiße Galerie-Kuben verwandelten.

Die Herangehensweise in solch kontextintensiven Ausstellungsorten geht von der Frage aus, in welche Auseinandersetzung die künstlerische Arbeit mit dem Ort treten kann. In Firminy gehören dazu auch die dort wohnenden Menschen – naheliegend, Räume zum Treffen einzurichten. Heimo Zobernig gestaltet ein Ausstellungscafé, minimalistisch-steril mit Chrommöbeln und einer ausgewechselten Treppe. Diese Treppe allerdings führt meinen Blick wieder zu Le Corbusier, auf die Unterschiede in der Treppengestaltung und die fehlende Präzision des Neuen. Insgesamt neun KünstlerInnen kamen auf die außergewöhnliche Idee, einen Fernseher plus Videos in ihre Installation zu integrieren – getrennt natürlich, jeder für sich. Warum daraus nicht ein gemeinsamer Fernsehraum wurde, der dann von den Bewohnern benutzt werden kann, weiß wahrscheinlich noch nicht einmal der Kurator, Yves Aupetitallot, zu beantworten.

Kate Ericson & Mel Ziegler leiden unter leichter Selbstüberschätzung, wenn sie eine Putzmittelfirma von einem neuen Etiketten- Layout (mit Fotografien der Unité) überzeugen wollen. Mark Dion präsentiert ein Stilleben toter Fliegen, die er fleißig im Haus zusammengesammelt und im Appartement der toten Nordhälfte arrangiert hat. Tania Mouraud sandbläst Landstreicher-Zeichen auf die Fenster der 7. (!) Etage und offeriert Croissants auf dem Tisch. Le Corbusiers Visionen noch etwas hinzuzufügen, scheint fast unmöglich zu sein. Eine zwar auf die Mängel der Appartements gerichtete, aber doch produktive Verbindung präsentieren Tom Burr und Christian Philipp Müller. Stauraummangel und Hellhörigkeit sind die Themen. Tom Burr plaziert seine Möbel zugleich als Vorschläge und als „Bewohner“ der Räume. Müller entflieht dem Ort: er schlägt einen Lärmschutz vor und gestaltet mit verändertem Licht, cremefarbenen Wänden und dem raumhohen Lärmschutzvorhang Le Corbusiers immergleiche Appartementbox in einen bürgerlichen Salon um. Beide flankieren ihre kontextuellen Arbeiten mit ausführlichen Textbeiträgen. Wer viel recherchiert, will sein Wissen mitteilen.

Lediglich Fareed Armaly hat radikal alles Typische des Unité-Appartements ausradiert: die Treppe entfernt, das Fenster verhängt, den Raum in eine Kreidetafel verwandelt (wie sie in jedem Kinderzimmer dort zu finden sind) und ein Mischpult (Töne wie Verkehr, Natur, Sex etc. anbietend) als Barriere eingebaut. Der Raum ist geleert, um aus verschiedenen Blickwinkeln verschiedene Strukturen zu bilden. Anders als bei Müller wird hier nichts ausgeblendet, sondern kann neu zusammengesetzt werden. Die Farbfolien am oberen Fensterteil werfen TV-Testbildfarben in den Raum, Corbusiers Licht- und Farbvorstellungen gleichzeitig aufnehmend und überblendend.

Die Konsequenzen, Ausstellungen nicht in bedeutungsentleerten Institutionsräumen, sondern an bereits bedeutungstragenden Orten zu organisieren, sind nicht nur in Firminy zu beobachten. Dasselbe Problem hatte „Sonsbeek '93“, eine Ausstellung im Stadtraum von Arnheim, und „Übungsgelände“, ein Projekt auf dem verlassenen Übungsgelände in Suhl (Ostdeutschland): Es entstehen nur sehr selten neue und überraschende Beziehungen zwischen dem Ort und dem Arbeiten, ein Aktivieren der möglichen Aspekte, wie in Armalys Beitrag, gelingt nur den wenigsten Ausstellern. Der Ort wird zum Bühnenbild, das nicht Ausgangspunkt, sondern Dekoration und Legitimation der Kunstpräsentation ist. Kontextbezug wird zum Zitat. So wendet sich der Besucher von der Kunst ab und nimmt die Kulisse als eigentliches Theaterstück. (bis 31.9.) Sabine Vogel