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„Ein Zigeuner bleibt immer ein Zigeuner“

Haß und Pogrome in Rumänien: Dorfbewohner lynchten letzten Montag drei Roma  ■ Aus Bukarest Keno Verseck

Aus den schwarzen Trümmern steigt noch Rauch auf. Ängstlich drängt sich eine Schafherde im verwüsteten Hof. Gänse schnattern, der herrenlose Hund bellt. Ein Pferdewagen liegt da, umgestoßen und zerbrochen, das Auto vom russischen Typ „Moskwitsch“ ausgebrannt. Zuerst lynchten die Menschen die Zigeuner, dann zündeten sie ihr Haus an.

Ist hier etwas geschehen, im Haus Nummer 98 des 2.000-Einwohner-Dorfes Hădăreni, 60 Kilometer entfernt von der mittelrumänischen Distrikthauptstadt Tirgu Mureș? Der Nachbar im Haus Nummer 100 bringt stoisch seinen Mais ein und wirft keinen Blick auf die schwelende Ruine. „Was soll passiert sein?“ fragt er unwillig. „Ein Zigeuner bleibt immer ein Zigeuner, auch an Ostern“, lautet ein Sprichwort der rumänischen Roma. Eben. Vom Gesicht des Nachbarn ist kein Bedauern, keine Trauer abzulesen. Er hat weder etwas gesehen noch gehört. Mit seinen Kindern, sagt er, sei er in die Berge geflüchtet, als es passierte.

Später verplappert sich der vorlaute Sohn. „Da, aus der Tür“, zeigt er mit dem Finger in Richtung des Hauses, „haben sie sie herausgezogen. Und dann ...“ Und dann? Der Vater unterbricht: „Die Zigeuner haben uns immer verprügelt, nein, nicht uns persönlich, aber die anderen im Dorf. Und gestohlen, na ja, nicht bei uns, aber bei anderen. Gearbeitet haben sie auch nicht. Lassen Sie sich von den Menschen im Dorf die Wahrheit erzählen.“

Die Menschen im Dorf Hădăreni – das sind die Einheimischen, Angestammten. Und die anderen, das sind die Zigeuner. So steht es in der rumänischen Presse. Am vergangenen Montag „fand zwischen den Bewohnern und den Zigeunern der Ortschaft Hădăreni ein Konflikt statt“, berichtete die Zeitung Evenimentual Zilei (Das Ereignis des Tages). „Ohne jegliches Motiv erstach ein Zigeuner einen Rumänen. Mehr als fünfhundert Rumänen und Ungarn lynchten den Verbrecher.“ Und die halbamtliche Tageszeitung Adevărul (Die Wahrheit) hatte in Erfahrung gebracht, daß die Ermordeten „alle ohne Beschäftigung – und, natürlich, alle Roma“ waren.

Die Bilanz eines der schlimmsten Pogrome, die im postkommunistischen Rumänien gegen Roma begangen wurden, lautet: zwei Roma gelyncht, einer in den Flammen eines Hauses umgekommen, dreizehn Häuser niedergebrannt, einundzwanzig zerstört und – ein „zigeunerfreies“ Dorf. Den Anlaß zum Pogrom gab ein Streit, in den drei Roma – darunter die beiden später gelynchten – auf der Dorfstraße mit einem alten Rumänen geraten waren. Sie hätten, so berichtet der dritte Rom, Usca Moldovan (27), einer vorbeigehenden jungen Rumänin laut nachgerufen: „Eh, guten Abend, Schöne!“ Der Alte habe das gehört und ihnen gedroht, daß alle Zigeuner im Dorf umgebracht werden würden. Daraufhin hätten sie ihn erst verspottet, dann gewarnt, in seinen Äußerungen innezuhalten. Während des Wortwechsels seien die beiden Söhne des alten und ihr Freund Gheţan Crăciun (25) mit Heugabeln erschienen. Sie hätten Lupian Lăcătuș (20) und seinen Bruder Aurel (22) verprügelt und mit den Heugabeln auf Lupian eingestochen. Der habe sich mit seinem Messer verteidigen wollen und dabei Gheţan erstochen.

Die Brüder Lăcătuș flüchteten in ihr Haus. Innerhalb kurzer Zeit versammelten sich vor dem Haus 300 bis 500 Rumänen und Ungarn. Aus der nahe gelegenen Ortschaft Cheţani waren unterdessen einige bewaffnete Polizisten angerückt. Sie drangen in das Haus der Familie Lăcătuș ein, fesselten die beiden Brüder und brachten sie vor die Tür. Aufgebrachte Dorfbewohner entrissen den Polizisten die beiden Brüder, schlugen auf sie ein und trampelten sie zu Tode. Dann verwüstete der Mob das Haus und steckte es in Brand. Ein weiterer Rom verbrannte.

Die rumänische Kellnerin in der Bar ein paar Schritte weiter erzählt gleichgültig, wie die Polizisten dabeistanden, als die beiden Roma umgebracht wurden. Warum haben die Polizisten nicht ihre Waffen benutzt? Schulterzucken. Daß die Rumänen und Ungarn zur Selbstjustiz griffen, findet sie verständlich. „Die Zigeuner haben ja unseren Jungen umgebracht.“ Unseren Jungen – sie war mit dem toten Rumänen weder verwandt noch befreundet. „Die Polizei hat nie etwas gegen die kriminellen Zigeuner getan. Die Wut der Leute hat sich über Jahre angestaut.“

Dieser Wut fielen sämtliche Häuser der Roma im Dorf zum Opfer. Eine Hundertschaft Polizei, die aus Tirgu Mureș anrückte, konnte die Brandschatzenden angeblich nicht zur Ruhe zwingen. Alle Roma flüchteten noch in derselben Nacht aus dem Dorf in die umliegenden Maisfelder, am nächsten Tag in das nahe gelegene Städtchen Luduș. Nun patrouillieren seit einer Woche Polizisten im Dorf Hădăreni, „um den Frieden und die Ordnung zu sichern“. Was gibt es zu sichern, wenn alle Häuser der Roma zerstört, alle Roma geflüchtet sind? „Wir befürchten“, sagen die Polizisten, „daß die Zigeuner Rache nehmen wollen und das Dorf angreifen.“ Sie sagen es voller Überzeugung und so, als seien die Roma die Schuldigen.

Die geflüchteten Roma schützt kein Polizist. Der Kreis hat keine Notunterkunft, keine Verpflegung und kein Geld für das Begräbnis der drei Toten zur Verfügung gestellt. Einige Roma schlafen seit Tagen im Park des Städtchens Luduș unter freiem Himmel. Nachts sinken die Temperaturen unter 10 Grad. Die meisten Roma haben bei dem Pogrom ihren gesamten Besitz verloren. Verwandte, zu denen sie gehen könnten, haben sie nicht. Eine Romni erzählt, sie habe mit ihrem Mann und anderen versucht, nachts nach Hădăreni zurückzukehren, um wenigstens einige Haustiere ihres Anwesens zu retten. Dabei seien sie auf die patrouillierende Polizei gestoßen. „Die Polizisten“, sagt sie, „haben uns verprügelt und gemeint, wir sollen verschwinden. Und daß wir Zigeuner jetzt endlich ausgerottet werden würden.“

Ein junger Rom und seine Frau, die sich während der Pogromnacht in einem Maisfeld versteckt hielten, berichten, daß Fernseher und Videogerät aus ihrem Haus geraubt worden seien. „Die Polizisten sahen zu und lachten.“ Ein paar umstehende Rumänen beäugen die Roma mißtrauisch. Hier, in Luduș, findet kaum jemand ein Wort des Mitgefühls, des Entsetzens über das, was 15 Kilometer weiter geschehen ist. Die meisten sagen, sie wüßten nichts Genaues. Kein Rumäne, kein Ungar aus Luduș hat den Roma etwas zu essen oder eine Decke gebracht. Ein Betrunkener, der die Berichte der Roma hört, schreit: „Eh, jetzt werden wir euch alle umbringen.“ Niemand protestiert.

Im Hinterhof des Ludușer Krankenhauses befinden sich im Totenraum zwei der drei Leichen. Der Körper des Verbrannten liegt auf der Erde: ein unkenntliches schwarzes Etwas ohne Arme, Beine, mit nur halbem Kopf. Daneben, nackt, einer der beiden Gelynchten, von Hämatomen übersät, die Gliedmaßen verdreht. An den Handgelenken sind noch die Spuren der Handschellen zu erkennen.

Warum bringen Menschen einen Wehrlosen um? Nur wegen des ermordeten Rumänen? Die Wut hat sich doch über Jahre angestaut. Weil die Roma angeblich nicht arbeiten? Einige Roma hatten große Schafherden, andere arbeiteten als autorisierte Händler für Autoreifen. Einige Roma erzählen, sie hätten durch Handel mit Serbien Geld verdient.

Weil sie angeblich stahlen? Niemand der befragten Rumänen und Ungarn wurde persönlich bestohlen. Viele Roma im Dorf waren wohlhabender als ihre rumänischen und ungarischen Nachbarn. So wohlhabend, daß die Rumänen und Ungarn in der Pogromnacht offenbar einige Häuser ausraubten. Der Neid der Besitzlosen? Unter den Rumänen und den Ungarn im Dorf kursieren Gerüchte über sagenhafte Goldschätze der Roma. Sie werden vor allem von Leuten verbreitet, die zerschlissene, graue Kleidung tragen.

„Die waren ja alle miteinander verwandt“, sagen die Rumänen und Ungarn im Dorf, um die Kollektivhatz zu rechtfertigen. Also war es vielleicht der größere Zusammenhalt der Roma untereinander? Die Distanz gegenüber den „Gaje“, allen Nicht-Roma? „Sie waren dreckig“, meinen einige rumänische Jugendliche, die nicht so aussehen, als würden sie sich und ihre Kleidung regelmäßig waschen. War es einfach, weil es sich um Roma handelte? Ein Zigeuner bleibt immer ein Zigeuner, sagen die Rumänen und Ungarn in Hădăreni haßerfüllt. Ein Zigeuner bleibt immer ein Zigeuner, sagen die Roma im Park von Luduș bitter.

So ähnlich sieht es auch die Regierung in ihrer Erklärung zu dem Pogrom. Das „Betragen“ der Roma in Hădăreni, heißt es darin, das „in einem Mord an einem Jugendlichen kulminierte, der auf offener Straße ohne jegliche Motivation begangen wurde, hat eine spontane Reaktion anderer Dorfbewohner geweckt, die in Gewaltakte mündete“.

Die Regierung will „adäquate Programme“ ausarbeiten, die den „sozialen Integrationsprozeß“ der Roma „fördern“ sollen. Für den „Wiederaufbau der zerstörten Häuser wie auch die Einschulung und den Unterhalt der Kinder der geschädigten Roma-Familien“ sollen Regierungsgelder bereitgestellt werden. Worte wie „Mord an Roma“ oder „Lynchjustiz“ tauchen im Text nicht auf. Dieser Text ist ein Schlag in die Gesichter der Opfer. Ein hochoffizieller.

Ob die betroffenen Roma tatsächlich Regierungsgelder zum Wiederaufbau ihrer Häuser erhalten, scheint mehr als zweifelhaft. Noch nach keinem der rund 30 Pogrome, die seit 1989 in Rumänien gegen Roma begangen wurden, hat irgendeine rumänische Behörde Verantwortung übernommen und betroffene Roma entschädigt. Doch selbst wenn die Regierung ihr Versprechen hielte – die Rumänen und Ungarn im Dorf würden zu verhindern wissen, daß die Roma jemals zurückkommen.

Die beiden Gelynchten und der Verbrannte sind nicht in Hădăreni begraben worden, sondern fünf Kilometer weiter, im Dorf Cheţani. Dessen Bürgermeister, der auch Hădăreni verwaltet, hat sich diesem Wunsch der Rumänen und Ungarn achselzuckend gefügt. Die Menschen in Hădăreni, die keine toten Zigeuner auf ihrem Friedhof dulden, haben unterdessen ihren „Märtyrer“, der von den Zigeunern umgebracht wurde, beerdigt. Mit sechs Kubikmetern Kränzen.

Im Hof eines verwüsteten Hauses, das in einem Seitenweg liegt, picken Hühner nach Futter. Die Tiere haben sie überall am Leben gelassen. Im Haus sind außer einem Fahrrad keine Gegenstände von Wert mehr zu finden. Auf der Couch liegt ein Stapel Fotografien, an der Wand hängt noch ein Bild des auferstandenen Christus, draußen auf der Leine die längst trockene Babywäsche.

Ein paar Schritte weiter filmt ein rumänisches Fernsehteam eine Gruppe Dorfbewohner. Alte und Junge, Männer und Frauen. „Wir können hier nicht mehr mit den Zigeunern zusammenleben“, schüttelt ein Alter den Kopf. „Und wenn sie zurückkommen?“ fragt der Reporter. „Wir hoffen das nicht“, antwortet ein Jugendlicher. „Wenn doch, dann wird es noch viel schlimmer für sie werden.“

Als die Kamera ausgeschaltet wird, fragt der Alte den Reporter untertänig, ob ihm wegen des Interviews etwas Unangenehmes passieren könne.

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