Massenvergewaltigungen in Kenias Lagern

■ Menschenrechtler beklagen Tragödie von 340.000 somalischen Flüchtlingen

Nairobi (taz) – Somalische Flüchtlinge in Kenia werden vergewaltigt, gefoltert, ausgeraubt und ermordet. Die Täter sind somalische Banditen, aber auch kenianische Polizisten und Soldaten. Die kenianische Regierung bleibt untätig, weil sie die Flüchtlinge zur Rückkehr nach Somalia bewegen will. Diese Vorwürfe macht die in London ansässige Menschenrechtsorganisation „African Rights“ in einem Bericht mit dem Titel „The Nightmare Continues“, der heute veröffentlicht wird.

Die Gruppe „African Rights“, die bereits zwei Berichte über die UNO-Intervention in Somalia herausgegeben hat, nennt das Schicksal der Somalis in Kenia den „vergessenen Teil der somalischen Tragödie“. Tausende Flüchtlingsfrauen seien vergewaltigt worden, Dutzende Männer getötet und viele weitere verhaftet und „verschwunden“. „Unzählige Flüchtlinge, Männer wie Frauen, sind von Sicherheitskräften geschlagen oder gefoltert worden“, heißt es. „Polizei- und Armeepatrouillen greifen Flüchtlingsmänner regelmäßig auf und schlagen sie entweder tot oder erschießen sie. In vielen Fällen werden die Leichen verbrannt.“ In Nairobi werden Flüchtlinge oft verhaftet, um von ihnen Geld zu erpressen. In den Grenzgebieten werden sie für Banditen gehalten und erschossen. Bei den Vergewaltigungen handelt es sich nach dem Bericht zumeist um Massenvergewaltigungen. Die Täter kommen in die Lager oder lauern den Frauen draußen beim Brennholzsammeln auf.

Laut „African Rights“ ist noch kein Angehöriger der kenianischen Sicherheitskräfte zur Rechenschaft gezogen worden. Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) hätte Klage erheben können, habe dies aber nicht getan. Panos Moumtzis, UNHCR- Sprecher in Nairobi, weist diesen Vorwurf zurück: „UNHCR kann vor den Militärgerichten, die für Polizei und Armee zuständig sind, keine Anklage erheben“, sagte er der taz. Überdies habe sich die Justiz sehr wohl gekümmert. „Es hat Prozesse gegeben, obwohl uns die Ergebnisse nicht offiziell mitgeteilt worden sind. Manche Polizeieinheiten, die Flüchtlingslager bewachen, wurden ausgewechselt.“

Es gibt 340.000 Flüchtlinge aus Somalia in Kenia. Ihre Präsenz wird von Kenianern für viele Mißstände verantwortlich gemacht, von steigenden Mieten in Nairobi zu Raubüberfällen in der Nordostprovinz nahe der Grenze. Waffenfunde in manchen Lagern haben große Aufmerksamkeit erregt. Die Lokalbehörden klagen über Überlastung staatlicher Einrichtungen in den Nordostgebieten. Im Januar bat die Regierung das UNHCR, alle ausländischen Flüchtlinge in Kenia – insgesamt 385.000, darunter Äthiopier und Sudanesen – unverzüglich zu repatriieren.

Das UNHCR hat 200 Fälle vergewaltigter somalischer Flüchtlingsfrauen registriert. Moumtzis glaubt jedoch nicht, daß es eine bewußte Politik der Regierung gibt, die Flüchtlinge zu vertreiben. „Die meisten Vergewaltiger sind Banditen“, meint er. „Von den 200 wurden nur zehn von Polizisten oder Soldaten begangen“. Mit „Banditen“ sind Angehörige der somalischen Minderheit in Nordostkenia oder herumziehende Clans aus Somalia selbst gemeint. „Die vergewaltigten Frauen werden oft von ihren Familien verstoßen“, sagt Moumtzis. „Es gibt 16jährige, die dann mit einem Baby allein gelassen werden.“ Die 200 vom UNHCR registrierten Frauen sind mittlerweile in sicherere Lager an der Küste verlegt worden, wo ihr Schicksal unbekannt ist und sie sich wieder in die Gemeinschaft integrieren können. In den fünf Lagern, wo am meisten Vergewaltigungen geschehen, sind jetzt Frauenärzte präsent, die Beratungen und Abtreibungen organisieren können. Sinikka Kahl