Muslimische „Elite“ stellt die Weichen

In Sarajevo beraten heute die Abgeordneten des bosnischen Rumpf- Parlaments über den Dreiteilungsplan für Bosnien-Herzegowina, dessen Annahme den endgültigen Zerfall des Einheitsstaates bedeutet.

Als das bosnische Parlament Ende August zum ersten Mal über den Plan zur Dreiteilung des Landes diskutierte, da nahmen im Vestibül des Holiday Inn von Sarajevo auch Vertreter der Kirchen, aus Kultur und Wissenschaft Platz. Ziel der bosnischen Führung war es, die gesamte bosnische Elite, Muslime, Kroaten und Serben in den Entscheidungsprozeß mit einzubeziehen. Vier Wochen später haben sich die Akzente verschoben. Zwar sitzen im bosnischen Parlament noch immer Vertreter aller drei Bevölkerungsgruppen, doch der heutigen Sitzung der Abgeordneten ging eine Versammlung muslimischer Intellektueller voraus. Rund 350 Vertreter von muslimischen Organisationen diskutierten gestern hinter verschlossenen Türen. Hier, so vermuteten politischer Beobachter, fiel eine Entscheidung, die für das Parlament richtungweisend sein wird.

Bereits Ende August hatte sich eine Spaltung der bosnischen „Elite“ abgezeichnet: Während eine Gruppe weiterhin an einem multikulturellen Staat festhielt und den Genfer Dreiteilungsplan ablehnte, war bei der anderen die Tendenz zu einem muslimischen Rest-Bosnien nicht mehr zu übersehen. Diese zweite Gruppe ist es nun aber auch, die in den letzten Tagen eine Art Mini-Referendum über die Zukunft Bosniens durchführen ließ. Organisator Alija Isaković: „Die Serben und die Kroaten machen ihre Entscheidung, und wir Muslime fällen unsere. In vieler Hinsicht hat unser ,muslimischer Kongreß‘ eine größere Berechtigung abzustimmen als das Parlament.“

Tatsächlich liest sich die Teilnehmerliste der gestrigen Versammlung wie ein Who's who der einflußreichsten Muslime in Sarajevo und Bosnien – angefangen von Präsident Izetbegović und den Vertretern der regierenden Partei der Demokratischen Aktion SDA, über die Führer der Armee bis zum Chef des bosnischen Fernsehens. Eine Gruppe von 30 bis 40 Intellektuellen der fünf einflußreichsten Organisationen hatte das Treffen inhaltlich vorbereitet. Schon vor Versammlungsbeginn galt es so als relativ sicher, daß der Kongreß den Genfer Plan absegnen wird. Zugleich bereiteten sich die Muslime aber auch darauf vor, die nun entstehenden politischen Institutionen des Rumpfstaates „Rest-Bosnien“ zu dominieren.

Die Kriktiker eines muslimischen Staates weisen darauf hin, daß in Rest-Bosnien weiterhin 25 Prozent Serben und Kroaten sowie andere religiöse und ethnische Gruppen leben werden. Vor allem diejenigen Serben und Kroaten, die bisher nicht den nationalistischen Führern in Zagreb oder Belgrad folgten, sollen nun nicht von einer rein „islamischen“ Regierung aus dem Land getrieben werden. Doch auch für viele Muslime selbst bietet ein muslimischer Staat keine Perspektive.

Da Isaković die Kritik seiner Gegner kennt, versuchte er wiederholt, ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen: Jeder Bürger des muslimischen Staates soll volle Bürgerrechte genießen. Tatsächlich dürften er und seine Anhänger jedoch darauf hoffen, daß Serben und Kroaten nach der Teilung des Landes in die ihnen zugesprochenen Teile gehen werden.

Obwohl Isaković als Vertrauter Izetbegovićs gilt, ist unklar, welche Position der Präsident bei der heutigen Abstimmung einnehmen wird. So erklärte er am Wochenende, daß er selbst nicht zu einer Zustimmung zu dem Dreiteilungsplan „tendiere“. Andererseits stehe er jedoch unter starkem diplomatischen Druck. Bei seiner Entscheidung müßte das Parlament auch andere Faktoren, so zum Beispiel den kommenden Winter, berücksichtigen. Muhamed Filipovic, Führer der liberalen Parlamentsopposition, warf dem Präsidenten jedoch vor, die Teilung bereits akzeptiert zu haben. „Izetbegović will, daß die muslimische Versammlung eine muslimische Republik proklamiert. Das ist ein Staatsstreich.“ her