Ungeboren im Quotenkampf

■ Tommy ist zurück! — „Gottschalk“, Di., 23.15 Uhr, RTL

Hätte der alternde Talkmaster nicht schon im Vorfeld alle publizistischen Register gezogen, so hätten wir das erst gar nicht gemerkt. Die Printmedien waren voll von ihm. In diversen Fernsehauftritten präsentierte er sich als einsamer Kämpfer mit Durchhalteparole. Der immense Kraftakt, mit dem nun die zweite Staffel seiner Latenight-Lightshow auf den Schirm gewuchtet wurde, ist Gottschalk physisch anzumerken. Tommys berufsjugendliches Antlitz wirkte bisweilen zerknautscht wie ein alter Autoreifen.

Aber auch die Selbstverzehrung warf er in den Kampf gegen den Abstieg ins Mittelmaß. Seine Drohung, der Schlüssel zu seinem Haus in den USA hinge griffbereit, ist eine trotzige Warnung an die Zuschauer: Wenn Ihr mir jetzt nicht treu bleibt, dann erwartet euch Furchtbares! In der Tat: In den Startlöchern für eine post- gottschalksche Latenightshow sitzt nämlich schon Hans Meiser, der an fünf verschiedenen Tagen mit fünf verschiedenen Krawatten auftritt und immer den selben Spruch abläßt. Oder Olaf „Explosiv“ Kracht, der Mann, der eine Ausstrahlung hat wie das flüssige Metall aus „Terminator II“.

Unter diesen Umständen wird Gottschalk wieder interessant. Nicht wegen seiner Show. Das Geplapper ist so wie immer. Mit den drei Fragen, die sein kleiner Arbeitsspeicher zu jeder Person verkraftet, versucht er, bei jedem Gast ein oder zwei Lacher abzusahnen. Worauf das mit einem Chip im Großhirn ausgestattete Studiopublikum grölt, weil die Techniker die Fernbedienung betätigen. Das kennen wir schon, Pawlow-TV.

Neu ist vielmehr der verbissene Kampf, der hinter Gottschalks Lockerheit steht. Das ganze Drumherum, die Konstruktion, das Gerüst wird dadurch sichtbar. Und das ist toll! Da ist zum Beispiel Gottschalk-Berater Tietje, Ex-Bild-Chefredakteur, der bei Springer rausflog, weil er uns die unvergessene Schlagzeile präsentierte: „Der Umfaller“ mit dem flachliegenden Helmut Kohl als Symbol für die Steuerlüge. Dann ist da Utz Weber, der versierteste Fernsehshow-Regisseur: Unzählige Top-Spezialisten werkeln im Verborgenen, damit UNSER TOMMY wieder funktioniert.

Gottschalks parallele Reanimation als „Wetten daß...?“-Moderator wirft allerdings noch Probleme auf, denn das ZDF darf nach 20 Uhr nicht werben. Gottschalk hat nämlich keine von einer Haribo- Werbung unabhängige Bildschirmpräsenz. Doch nach der Privatisierung des ZDF im Jahre 1996 wird auch dieses Problem beseitigt sein.

Bis dahin führt Gottschalk unablässig die magische Zuschauerzahl von 1,5 Millionen im Munde. Er bestreitet seine Show mit dem Rücken zur Wand. Wie ein frisch operierter Patient, der mit einem Auge ständig seinen unregelmäßigen Herzrhythmus auf dem Oszillographen im Auge hat. Das ungeborene Becker-Baby im Bauch von Babs Feltus funktioniert hier als Gottschalks Tele-Herzschrittmacher. Wie wichtig Gottschalk für den Show-Betrieb zu sein scheint, kann man daran ermessen, daß sogar die RTL-Konkurrenz Springer Gottschalk auf der Bild- Titelseite mit dem Baby-Griff promotete: Die Leute wollten nur sehen, wie Tommy die Hand auf Barbaras Bauch legt(e). Die Quoten bestätigen dies: Tommy begann um 23.15 Uhr mit 1,6 Millionen Zuschauern (die Vorlustigen). Nach dem ersten Werbeblock um 23.27 Uhr, als Barbara und ihr Bauch zum Gespräch antraten, stieg die Quote 22 Minuten lang auf fünf Prozent. Das sind knapp zwei Millionen Zuschauer, die nachts um halb zwölf das sehen wollten, was tagsüber auf der Bild- Titelseite abgebildet war. Als Seiters und Piäch zum telegenen Holzhacken aufliefen, sank nach dem zweiten Werbeblock die Quote auf bedrohliche 1,43 Millionen ab. Aufgepaßt, Tommy!

Im Grunde gab und gibt es gar kein Problem. Die Krise ist ein gefaketer Selbstläufer. Der drohende Absturz ist wahrscheinlich die letzte Attraktion im überfüllten Show-Äther. So ist es absehbar, daß Gottschalk sich irgendwann mit Benzin übergießt, um seine Zuschauer live zu erpressen: Schaut her, ich bin die Werbung: Nichts ist unmöglich! Manfred Riepe