Filme fürs Museum?

Das Berliner Kinosterben – für den Senat kein Problem – ist ein Produkt der Filmförderung Mit Manfred Bittmann, Geschäftsführer des Wirtschaftsverbands Berliner Filmtheater, sprach  ■ Bernd Imgrund

Der Kultursenator Roloff-Momin hat kürzlich auf eine Anfrage aus dem Abgeordnetenhaus erklärt, von „Kinosterben“ könne in Berlin keine Rede sein. Sie haben daraufhin einen offenen Brief verschickt, der vom Kultursenat als „im Ton unangemessen“ bezeichnet wurde, schließlich ziehe man doch an einem Strang ...

Manfred Bittmann: Klar ist, daß es zum Beispiel die Berliner Kinderfilm-Initiative ohne Frau Marquard vom Kultursenat nicht geben würde. Ebenso könnten viele Filmtheater ohne die Hilfe des Kultursenats gar nicht mehr existieren. Aber ich weise die Behauptung des Kultursenators zurück, daß von einem Kinosterben in Berlin nicht die Rede sein könne. Was Roloff-Momin in seiner Statistik als „Neueröffnungen“ bezeichnet, sind in Wahrheit Wiedereröffnungen. Dem stehen zwölf Schließungen von so renommierten Kinos wie dem „Filmkunst 66“ und dem „Studio“ gegenüber.

Wie wäre dieser Kreislauf zugunsten der kleinen Kinos und weniger publikumsträchtigen Filme aufzuheben? Ihr fordert u.a. eine Ausweitung der Abspielförderung.

Abspielförderung ist mehr als die Bezuschussung des Kinoprogramms, worauf es sich im Moment, jenseits des Bereiches Kinderfilm, beschränkt. Das Filmförderungsgesetz von Nordrhein- Westfalen beinhaltet eine Richtlinie zu Erhaltung und Förderung von Neueröffnungen. Ich sehe nicht ein, warum ein derartiger Passus nicht auch hier aufgenommen werden kann. Außerdem sollte gesichert werden, daß Filmprojekte, die in Berlin gefördert werden, hier auch zumindest ihre Erstaufführung erleben.

In den Flächenländern werden Prämien für Filmtheater mit herausragendem Kinoprogramm verteilt. In NRW ist man mittlerweile so weit, daß die Filmtheater über die dortige Filmstiftung direkte Zuschüsse zu Investitionen erhalten. Dabei geht es nicht nur um Beihilfen für Festivals und Programmreihen, sondern auch um Modernisierungsmaßnahmen und besseres Equipment. Die Ausstattung ist heute enorm wichtig, während die Leute früher auch mal in Kinos gegangen sind, wo mit Heizdecken gearbeitet wurde, einfach, um die Filme überhaupt sehen zu können.

Gehen die Leute ins Kino, um einen Film zu sehen, oder um des Kinos willen?

Es gibt genug Leute, die gehen nicht in „Das Piano“, sonders ins „Delphi“. Es gibt Kinos, die sind so etabliert, daß es egal ist, was da läuft. Aber im Moment ist es doch so, daß drei Filme fünfzig Kinos belegen. „Dracula“ lief hier mit 18 Kopien an und nahm in der ersten Woche über dreißig Prozent der Berliner Kinoplätze in Anspruch. Der Film war derartig überbesetzt, daß er innerhalb von wenigen Wochen wieder aus den Kinos verschwand, aber der Trend hin zu immer mehr Kopien hält weiter an. Mit Vielfalt hat das nichts mehr zu tun, auch nichts damit, daß der Markt irgend etwas reguliert. Hier findet ein Verdrängungswettbewerb statt.

Apropos Markt: In Ihrem Schreiben ist auch von dem Gesetz der Marktwirtschaft die Rede, das es einzelnen Kinobesitzern unmöglich mache, ein kulturell ausgerichtetes Programm durchzuhalten ...

In Berlin versuchen etwa 60 Kinobetreiber, an Filme ranzukommen. Denen stehen 30 Verleihfirmen gegenüber, deren Gesetz heißt „Gute Zahlen liefern“. Wer hohe Quoten melden kann, steht bei der nächsten Filmvergabe in der ersten Reihe. Zur Zeit ist es eben so, daß die einzigen Filme, die gute Zahlen liefern, bei den amerikanischen Verleihern sind.

Werden die Zuschauer auf Dauer von diesem System so verblödet, daß sie keinen schönen deutschen Problemfilm zu schätzen wissen?

Ganz klar, der deutsche Film istderzeit uninteressant, was allerdings zu einem großen Teil auchFolge der Filmförderungspolitik auf Bundes- und Landesebene ist. Das Versagen des deutschen und europäischen Films hängt auch damit zusammen, daß sich niemand darum kümmert, wie man diese Filme an die Besucher vermittelt. Als ich vor dreizehn Jahren nach Berlin kam, gab es zwar höchstens halb so viele Kinos, aber mindestens viermal so viele unterschiedliche Filme zur gleichen Zeit.

Sie bemängeln an Roloff-Momins Neueröffnungsstatistik, daß die allermeisten dort aufgeführten Kinos nur Kapazitäten von unter 300 Plätzen haben. Was stört Sie daran?

Es geht dabei doch darum, daß viele ehemalige Jugendclubs usw. mit einem Platzangebot eröffnen, mit dem sie sich nie selbst tragen könnten. Ein Kino mit 50 Sitzen ist nicht rentabel.

Inwiefern geht denn die Vielfalt tatsächlich verloren? Immerhin existieren doch noch diverse Programm- und Nischenkinos.

Ein bestimmtes Programm, das es vor Jahren noch gab, vegetiert heute unterhalb der Wahrnehmungsschwelle dahin. Früher gab es auch in den normalen Kinos täglich zwei, drei verschiedene Filme, Tage des besonderen Films usw. Das Recht, in der Nachtvorstellung Filme jenseits des Hauptprogramms zu zeigen, wird heute kaum noch genutzt, weil es sich für die Betreiber nicht mehr lohnt. Durch Kinos wie die Brotfabrik werden zwar manche Filme, die sonst nirgendwo laufen würden, zumindest noch gezeigt, aber ich glaube, daß in ein paar Jahren auch damit Schluß ist.

Ein Experimentalfilm wie „Sommer der Liebe“ von Wenzel Storch läuft sogar in zwei verschiedenen Kinos an.

Ja, aber das sind beides Filmtheater, die unterhalb der Wahrnehmungsschwelle großer Besuchergruppen laufen. Noch vor ein paar Jahren wäre der im York gelaufen.

Was heißt „unterhalb der Wahrnehmungsschwelle“? Der Film wurde doch in fast allen Berliner Zeitungen besprochen.

Was Kritiker über einen Film schreiben, ist für die Masse der Besucher uninteressant, wenn er nicht gerade auf dem Titelblatt ist. Der „besondere“ Film ist heute nicht mehr der, der besonders lobend besprochen wird, sondern der, der am meisten beworben wird, sprich: die amerikanischen Filme. Ausschlaggebend ist die Radio- und Fernsehwerbung, sind die Zeitungsanzeigen und nicht zuletzt die Vorschauen in den Kinos selbst. Was da angekündigt wird, das sehen sich die Leute dann in der nächsten Woche halt an.

Was könnten die Filmtheater denn dagegensetzen?

Wer heute z.B. noch nicht mit Dolby, mit bestimmten technischen Neuentwicklungen ausgestattet ist, hat den Zug verpaßt. Das ist unabdingbar, daß da reininvestiert wird. Meine Zuschauer halte ich nur, wenn ich ein profiliertes, thematisch strukturiertes Programm anbiete und einen bestimmten Standard. Den biete ich nicht, wenn ich immer auf den gerade aktuellen Kassenschlager setze und in der einen Woche „Dracula“, danach das „Dschungelbuch“ und dann „Cliffhanger“ laufen lasse.