■ Fernsehen, wie es keiner mag
: Herzbuben

Wenn Carolin Reiber in einem Interview lauthals Ansprüche auf den Titel „Puffmutter der deutschen Volksmusik“ erhebt – über den rhetorischen Kniff, daß sie eine Journalistin kritisiert, von welcher dies ehrende Prädikat ersonnen wurde, – was bleibt dann eigentlich für die zwei öligen Speckwichteln, die sich „Wildecker Herzbuben“ nennen?

Es geschah, daß ich eines Samstagabends den Fernseher einschaltete, um mich ein wenig am Sat.1-Albino Heino zu erfreuen. Die beste Sendezeit war schon etwas vorangeschritten, und so kam ich eben dazu, als die Herzbuben öffentlich und ungeniert ihrem schamlosen Beruf nachgingen. Mit einer gequälten Miene, als habe man ihnen zum Kaffee fettarme Milch offeriert, rangen sich die beiden Peinlichkeitsapostel gerade ein „Bye bye Love“ ab. Das erste Bild, das der Fernseher freigab, brannte sich für alle Ewigkeit in mein Gedächtnis: Herzbube Schwalm in Großaufnahme; der größte Teil seiner Gesichtsmuskeln kämpfte einen aussichtslosen Kampf gegen die drallen weißen Fleischmassen, die jeden Moment über den Augen zusammenzuschlagen drohten; der Rest hatte anscheinend den Auftrag, jenen vermeintlich liebesschmerzverzerrten Zug in die debile Routinefröhlichkeit der Züge zu bringen, die der Mann wohl seiner Situation zu schulden glaubte.

Dazu quäkte der ehemalige Elektriker in einem Englisch, das sogar die „Scorpions“ als Pidgin verlacht hätten: „I feel like I could die“!!! Und plötzlich wußte ich, dieser lustige Volksmusikant meint es ernst. Man muß seinen Vollplayback-Versicherungen Glauben schenken. Ich spürte, Herr Wolfgang Schwalm, 38 Jahre alt und nach eigenen Angaben Eisenbahn- Fan, war nach Sterben zumute. Jetzt, in diesem Moment. Die Peinlichkeit seiner Präsenz war ihm schlagartig bewußt geworden; man sah es ihm an. Todessehnsüchtig wie ein in die Jahre gekommener Lemming wirkte auch sein Kompagnon Gliem (46, Briefmarken-Fan), der nur Sekunden später ins Bild kam und herzlich bekräftigte: „Feel like I could die!“

Falls die beiden Deix-Figuren, die sich übrigens trotz ihres Altersunterschiedes so ähnlich sehen, als hätten sie den gleichen Chromosomendefekt, ihr Gefühl wider Erwarten überlebt haben sollten, müssen wir uns doch mal Gedanken machen – über einen adäquaten Titel. Vielleicht sagt demnächst die „Puffmutter der Deutschen Volksmusik“ die zwei „Botschafter des Dummschunkelns“ an. Martin Sonneborn