Keine Schonfrist für neuen IGM-Chef

Tarifkündigung hat die Metall-Gewerkschaft in Alarmbereitschaft versetzt / Vorbereitung auf Streik und Aussperrung im Frühjahr / Knapper Abschied vom gestürzten Steinkühler  ■ Aus Mainz Martin Kempe

Klaus Zwickel wußte, daß er es als Nachfolger des gestürzten Franz Steinkühler nicht leicht haben würde. Aber so hatte sich der bisherige Stellvertreter seinen Start als Chef der Industriegewerkschaft Metall doch nicht vorgestellt. Denn der Startschuß für die Ära Zwickel fiel nicht am Sonnabend auf dem außerordentlichen IGM-Gewerkschaftstag in Mainz. Er wurde schon am Dienstag zuvor in Köln vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall abgefeuert. Die frühzeitige Aufkündigung der Tarife für Lohn und Urlaub durch die Arbeitgeber hat die IG Metall wie ein Donnerschlag getroffen. Eine Schonfrist für den neuen IG-Metall-Chef gibt es nicht.

Die sich abzeichnende Konfrontation im nächsten Frühjahr hat den eigentlichen Anlaß des Mainzer IGM-Kongresses in den Hintergrund treten lassen: die Wahl einer neuen Führungsspitze für die größte DGB-Gewerkschaft. Die über siebenhundert Delegierten haben Zwickel, den neuen Vorsitzenden, und den bisherigen Stuttgarter Bezirksleiter Walter Riester als seinen Stellvertreter mit komfortablen Stimmenpolstern um die neunzig Prozent ausgestattet. Sie haben damit – nach all den Wirren um den Sturz des bisherigen Vorsitzenden Franz Steinkühler – demonstrativ die Geschlossenheit gezeigt, die sie in den kommenden Auseinandersetzungen brauchen werden.

Auch der mit Spannung erwartete erste öffentliche Auftritt Steinkühlers nach seinem Sturz fiel weniger spektakulär aus als erwartet, geriet gar beinahe zur Farce, als der Delegierte Walter Hesterberg aus Wuppertal „den Franz“ wegen seiner Verdienste und Führungsqualitäten erneut für das Spitzenamt vorschlug. Der lehnte mit knappen Worten ab und nahm wieder seinen Platz neben den anderen ehemaligen IGM-Vorsitzenden Hans Mayr und Eugen Loderer ein.

Im übrigen hüllte Steinkühler sich eisern in Schweigen. So hatte es die Kongreßregie der IG Metall gewollt: Steinkühler sollte sich zeigen, aber gleichzeitig seinen Abschied für alle verbliebenen „Franz-Nostalgiker“ sinnfällig machen. Ein Ausgestoßener wird er auch in Zukunft nicht sein.

Die Gewerkschaft kann sich den sehnsüchtigen Blick zurück ohnehin nicht leisten. Die Mitgliederzahlen sind krisenbedingt von 3,6 Millionen 1991 auf heute 3,25 Millionen zurückgegangen. Die Massenarbeitslosigkeit macht gewerkschaftliche Interessenvertretung schwieriger. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an die Mobilisierungs- und Kampffähigkeit der Organisation: Auch den IGM- Funktionären ist in den letzten Tagen erst nach und nach klargeworden, was die Arbeitgeber-Kündigung der westdeutschen Lohn- und Urlaubstarife bedeutet.

Sie macht nur dann Sinn, wenn Gesamtmetall nicht nur reale, sondern nominale Lohnsenkungen durchsetzen will: kein Inflationsausgleich, Senkung des Nominallohns, Verschlechterungen bei der Bezahlung des Urlaubs, möglicherweise Urlaubsverkürzungen. „Das zielt am Ende auf eine Reallohnsenkung zwischen 10 und 15 Prozent“ errechnete der IG-Metall-Bezirksleiter Küste, Frank Teichmüller, für die taz. Daß die Gewerkschaft dies nicht ohne Gegenwehr hinnehmen kann, wurde in Mainz nicht nur vom neuen Vorsitzenden Zwickel klargestellt.

In den westdeutschen Tarifbezirken wurde in der letzten Woche die Parole ausgegeben, ab sofort alle Gespräche mit den Arbeitgebern einzustellen. Das Klima in den Betrieben wird in den nächsten Monaten frostiger werden. „Die Geschäftsführungen müssen merken, was ihnen ihr Verband eingebrockt hat“, meinte der neue IGM-Vize Walter Riester zur taz. Durch den Abbau übertariflicher Lohnbestandteile habe es in den letzten Monaten ohnehin schon eine Reallohnsenkung gegeben. Der Angriff auf die tariflichen Mindeststandards komme deshalb einer Kriegserklärung gleich.

Was das heißt, versuchte der neue Vorsitzende Klaus Zwickel den Delegierten in seiner Rede zur aktuellen gewerkschaftspolitischen Situation einzuhämmern: „Wir müssen uns ab sofort auf Streik und Aussperrung in jeder Form vorbereiten. Wir müssen die Angst in den Köpfen und Herzen der Menschen überwinden!“ Die Angst der Beschäftigten vor einem Arbeitskampf ist nur allzu berechtigt. Denn noch gilt der Paragraph 116 des Arbeitsförderungsgesetzes, der von der Bundesregierung nach dem Streik von 1984 durchgepaukt wurde und Lohnersatzleistungen für ausgesperrte Beschäftigte verbietet. Erst im Herbst nächsten Jahres, so heißt es, will das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit dieses Paragraphen entscheiden, der die „Waffengleichheit“ zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften faktisch aufgehoben hat.

Die Feuertaufe für den neuen Vorsitzenden kommt im Frühjahr. Aber auch für die weitere Zukunft sieht Zwickel große Aufgaben auf die IG Metall zukommen. Denn bei anhaltender Massenarbeitslosigkeit werde die IG Metall in der zweiten Hälfte der 90er Jahre ihre Strategie der Arbeitsumverteilung wieder aufnehmen. Bis 1998 ist sie in Sachen Arbeitszeit tarifvertraglich gebunden. Aber danach „wird die 30-Stunden-Woche auf die Tagesordnung kommen“, kündigte der IGM-Chef zum Entsetzen der Arbeitgeber an.