Für uns ist das ein Casus belli

„Landwirtschaft und Kultur gehören zum selben Kampf“ – Ein Gespräch mit dem ehemaligen französischen Kulturminister Jack Lang über Gatt-Verhandlungen, Kulturpolitik und Filmförderung  ■ Von Thierry Chervel

„Kultur und Politik“ hieß der Vortrag, den der ehemalige französische Kulturminister am Sonntag im Rahmen der „Berliner Lektionen“ hielt. Indirekt verriet Jacques Lang den Berlinern dabei, was er mit dem Schiller Theater gemacht hätte: in keinem Fall schließen, schon gar nicht im Namen von Sparzwängen. Im Gegenteil, in Zeiten der Krise müsse mehr Geld für Kultur ausgegeben werden – und Krise sei eigentlich immer.

Lang ist die schillerndste Figur der europäischen Kulturpolitik. Als Mitterrand den Theatermacher und Juraprofessor 1981 zum Kulturminister ernannte, setzte er zunächst einmal eine Verdoppelung des bisherigen Etats durch. Stets war seine Politik seitdem mit großem Gepränge und symbolischen Gesten verbunden. Bald geriet sie aber auch in den Ruch des Reklame-, ja Propagandahaften. Die Zweihundertjahrfeiern zur Französischen Revolution sind in zwiespältiger Erinnerung, der Sinn von Mitterrands „Großen Projekten“ – der „Große Bogen“ im Neubauviertel La Défense, der „Große Louvre“, die „Sehr große Bibliothek“ usw. – ist umstritten, zumal diese Projekte fast ausschließlich in Paris realisiert wurden. Kritische Intellektuelle schrieben wilde Polemiken gegen Lang.

Daß er auch handfeste Verdienste um die französische Kulturpolitik hat, läßt sich andererseits nicht leugnen. Nach deutschem Vorbild schuf er eine Preisbindung für Bücher und stoppte damit das Sterben der kleinen Buchläden. Auf seine Initiative hin wurde der deutsch- französische Kulturkanal „Arte“ geschaffen. Vor allem aber schaffte er es mit Gesetzen und brancheninternen Regelungen, die französische Filmindustrie als einzige in Europa gegenüber der amerikanischen einigermaßen konkurrenzfähig zu erhalten. Die französischen Filme haben in Frankreich immerhin noch einen Marktanteil von 35 Prozent. In fast allen anderen europäischen Ländern halten die Amerikaner bis 95 Prozent.

Heute lehrt Lang Jura an der Universität von Nanterre in Paris. Weiterhin ist er Bürgermeister der kleinen Loire-Stadt Blois. Außerdem ist er der wichtigste Lobbyist der französischen und europäischen Kinoindustrie in der brenzligen Frage, ob die Kultur in die Gatt- Verhandlungen aufgenommen werden soll1. Es halten sich Gerüchte, daß Lang für die französische Präsidentschaft kandidieren will.

Thierry Chervel: In Venedig sind Sie zum Präsidenten der neugeschaffenen „Vereinigung der Filmschaffenden“ gewählt worden, die einerseits für ein neues Copyright kämpft, das die Regisseure begünstigt, und andererseits gegen die Position der Amerikaner in den Gatt-Verhandlungen. Die Amerikaner fordern die Aufnahme von Film und Fernsehen in die Verhandlungen, Sie dagegen fordern die „kulturelle Ausnahme“. Was haben Sie seit Venedig unternommen?

Jack Lang: In Venedig haben wir zunächst mal die Sturmglocke geläutet. Wir haben gesagt: „Gefahr! Lebensgefahr!“ Lebensgefahr fürs europäische Kino und Fernsehen. Warum dieses dramatische Wort? Weil die Amerikaner – in gutem Glauben – Kino, Bücher, Musik mit normalen Waren gleichsetzen. Wie Zucker, Zahnpasta, Dosenfutter, fordern sie, soll auch die Kultur in die Gatt-Vereinbarungen einbezogen werden. Der Hintergedanke liegt auf der Hand: Die paar bescheidenen Regeln, die in den einzelnen Ländern und auf europäischer Ebene ersonnen wurden, um die Kino- und Fernsehproduktion zu unterstützen, sollen geknackt werden – und zwar mit dem Ziel, die absolute Macht zu erlangen. In vielen europäischen Ländern haben die Amerikaner jetzt schondie Herrschaft über den audiovisuellen Sektor. Einerseits liegt das daran, daß sie Kraft, Talent, künstlerische Potenz mitbringen, und andererseits, daß die Europäer – das heißt ihre Regierungen – Dummköpfe sind, oder schlimmer noch: Verbrecher, die ihnen kampflos das Terrain überlassen. Sie lassen ihr Kino auf kleiner Flamme sterben.

Sagen Sie das auch an die Adresse der deutschen Regierung?

Naja, ich will hier nicht... Ich spreche im allgemeinen. Von Land zu Land ist die Situation unterschiedlich. Aber was ich sehe ist, daß diese Frage den meisten europäischen Regierungschefs egal ist. Sie pfeifen drauf.

Fürchten Sie, daß der Audio/Video-Bereich in den Gatt-Verhandlungen einem Kompromiß in der ebenfalls noch offenen Frage der Landwirtschaftssubventionen geopfert werden könnte?

Das werden wir nicht akzeptieren, ganz klar. Ich hoffe, daß die französische Regierung da standhaft bleibt.

Sie sagen „wir“. Sind Sie sich in dieser Frage mit Ihrem Nachfolger Jacques Toubon, einig?

Also offiziell hat er meinen Standpunkt in vollem Umfang übernommen. Ich bin zufrieden. Er ist ein guter Schüler, ein sehr guter sogar. Ich geb ihm glatt eine Eins plus – selbst wenn er mich vor ein paar Jahren in genau dieser Frage bekämpft hat. Im übrigen gehören Landwirtschaft und Kultur für uns zum selben Kampf. Es gibt da ja große Ähnlichkeiten. Heute (Sonntag) abend werde ich im französischen Fernsehen eine große Demonstration ankündigen: „Culture, agriculture même combat!“ (Kultur und Landwirtschaft, derselbe Kampf). Ende Oktober werden Künstler, Intellektuelle und Bauern gemeinsam auf die Straße gehen. Denn es geht hier um die Seele unserer Länder. Was die Landwirtschaft angeht, so kann man die riesigen Ebenen Amerikas nicht mit den europäischen Kulturlandschaften mit ihren 200.000 Dörfern vergleichen. Diese Landschaften muß man doch erhalten in ihrem empfindlichen Gleichgewicht, und dazu braucht man Landwirtschaft. Es ist nicht allein eine wirtschaftliche Frage – es ist eine Frage der Zivilisation, der Lebenskunst.

Um wieder aufs Kino zurückzukommen: Würden den europäischen Regierungen durch einen Gatt-Abschluß denn wirklich alle Förderinstrumente aus der Hand genommen?

Warum machen die Amerikaner so einen Druck? Das sind doch Praktiker, die machen das doch nicht aus philosophischen Gründen. Gefährdet ist etwa die europäische Fernsehregelung „Fernsehen ohne Grenzen“, die vorschreibt, daß mindestens die Hälfte des Fernsehprogramms aus europäischen Produktionen besteht. Und auch die nationalen und europäischen Filmförderungsinstrumente sind gefährdet. Was wollen die Amerikaner nur? Wollen sie wie Dschingis-Khan alles dem Erdboden gleichmachen? Ich versteh das nicht. Es ist idiotisch. Es ist natürlich auch schlau, sie verfechten ihre Interessen. Sie haben Energie, Know-how, sie machen tolle Filme, nicht selten auch Mist, aber eben auch Gutes. Übrigens – ich hasse den Chauvinismus. Ich habe viele amerikanische Freunde, Schriftsteller wie William Styron, Filmemacher wie Martin Scorsese. Aber es muß die europäischen Regierungen doch alarmieren, wenn – wie Wim Wenders mir erzählte – in Berlin nur noch vier Prozent aller Kinozuschauer deutsche Filme sehen. In der Stadt von Fritz Lang! In der Heimat des deutschen Expressionismus!

Glauben Sie, daß in Deutschland so etwas wie ein nationales Kulturministerium fehlt, das die Aktivitäten in solchen Fragen bündeln könnte?

Da liegt in der Tat vielleicht eine Schwäche der deutschen Politik – sosehr zugleich die Kulturhoheit der Länder ein verbrieftes und unanfechtbares Prinzip ist. Für die Bildungspolitik, die Universitäten, Theater, Orchester usw. ist das auch ein tolles System. Das heißt für alle nichtökonomischen intellektuellen Tätigkeiten. Dafür, so scheint mir, braucht man nicht unbedingt ein Ministerium auf Bundesebene. Aber daß es im Bereich der Kulturindustrie keine nationale Politik gibt, scheint mir nicht normal – ich glaube, daß das deutsche Kino dadurch sehr geschwächt wurde. Das Kino hat viel zuviele Ansprechpartner, zwei Bundesministerien und dann noch die Länderebene. Es gibt keinen Kinominister.

Haben Sie in Ihrer Zeit als Kulturminister bei bilateralen Gesprächen schlechte Erfahrungen gemacht? War überhaupt klar, wer Ihr Ansprechpartner war?

Nein, schlechte Erfahrungen habe ich nicht gemacht, zumeist habe ich mit dem Wirtschaftsminister gesprochen, Herrn Bangemann zum Beispiel, der übrigens trotz seines Liberalismus in Kinofragen eine ziemlich voluntaristische Linie vertrat.

Nun gibt es ja gegen eine voluntaristische Politik des Staates in Kulturdingen durchaus auch Einwände innerhalb Europas. Marc Fumaroli schrieb in seiner Brandschrift gegen Ihre Politik2, die vielen Subventionen schüfen nur eine Versorgungsmentalität bei den Künstlern und lähme letztlich die eigenständige Kreativität.

Aber es geht gar nicht im wesentlichen um Subventionen. Es ist hier nur sehr wenig Geld im Spiel. Es geht um Regeln und Gesetze. Sehr oft handelt es sich nur um eine Umverteilung der Gelder innerhalb des audiovisuellen oder Kinobereichs. In Frankreich haben wir zum Beispiel eine Abgabe auf die Kinokarten. Mit den so erwirtschafteten Geldern werden dann Kinosäle renoviert oder Filmproduktionen unterstützt. Aber das sind keine staatlichen Subventionen. Angesichts einer Supermacht haben kleinere Länder mit all ihren verschiedenen Sprachen doch wohl das Recht, Regeln zu setzen, die ein kulturelles Schaffen innerhalb dieser Länder weiterhin ermöglichen. Den Vorwurf des Protektionismus lasse ich mir übrigens nicht machen. Kein Land ist in Kulturdingen protektionistischer als Amerika.

Die Gatt-Verhandlungen zum audiovisuellen Bereich stehen unmittelbar bevor. Welche Schritte werden Sie als nächste unternehmen?

Man muß deutlich machen, daß diese Frage nicht verhandelbar ist.

Wem?

Den anderen Europäern, die noch zweifeln oder die die Frage nicht ernstnehmen, den Amerikanern, den Gatt-Delegierten. Für uns ist das ein Casus belli. Wir verkaufen Europas Seele nicht für einen Teller Linsensuppe.

1 Wer weitere Informationen zu dieser sehr komplizierten Materie sucht, sollte Wolf Donners Serie im Berliner „Tip-Magazin“ lesen.

2 Marc Fumaroli: „L'Etat culturel, Essai sur une religion moderne“. Paris, Editions de Fallois, 1992.