Nachschlag

■ Sander, Schmidinger und Carrière lasen Wondratschek

Auf den puren Text vertrauen heute nur noch die wenigsten. Während die Lesungen älterer Dichter vorzugsweise durch ein getragenes Klavier zerklimpert werden, verstecken sich die jüngeren gerne hinter dem Fauchen und Fiepen eines frei jazzenden Saxophonisten oder (fühlt sich denn mal wieder einer zum Performance-Künstler berufen) kämpfen mit Händen und Füßen gegen ein Schlagzeug an.

Nicht so in der „Bar jeder Vernunft“ am vergangenen Montag. Ausschließlich mit Hilfe von Stimme und Mimik versuchten die Schauspieler Otto Sander, Walter Schmidinger und Matthieu Carrière, den Texten Wolf Wondratscheks das Bestmögliche abzugewinnen. Der Querschnitt aus 25 Jahren Wondratschek diente vor allem der Präsentation einer bei 2001 erschienenen Lyrik-CD, auf der neben den oben Genannten u.a. George Tabori einige, zum Teil bisher unveröffentlichte Texte des mittlerweile fünfzigjährigen Dichters liest.

Den zwischen Phillip-Marlowe-Attitüde und Rührseligkeit changierenden Alltagsgedichten kam an diesem Abend im proppenvollen Spiegelzelt eine Fähigkeit zugute, die die anwesenden Schauspieler den allermeisten lebenden Dichtern voraus haben: nicht nur vorlesen, sondern lautmalen zu können. Schmidinger, kauzig und in weißer Fliege angetreten, oblag zur Eröffnung die dankbare Aufgabe, frühe Pop- und Road-Poems aus „Chuck's Zimmer“ (1974) vorzutragen. Trocken, zurückgenommen und ganz im Stile des Marlboro-Manns vertonte Schmidinger Wondratscheks komplettes Erfolgsrezept: Rock 'n' Roll, Bourbon, Mädchen und Autos.

Allzu oft jedoch gleitet Wondratscheks Versuch, amerikanische Alltagslyrik und deutsche Romantik unter einen Hut zu bekommen, ins anbiedernd Pointenhafte ab. Zumeist ist es das naheliegendste Reimwort, das auf sein Pendant folgt, und selten wird man das Gefühl los, daß hier ein Autor mit einem Desperado-Habitus kokettieren kann, weil ein großer Teil des deutschen Lyrikpublikums bei Mörike hängengeblieben ist. Während Otto Sander noch langanhaltenden Applaus für Wondratscheks Schnellschuß-Gags und Kehrreime einheimste, mußte der stimmlich weit weniger variable Matthieu Carrière schon auf diverse Gossenwörter bauen, um während seiner Lesung aus dem Langgedicht „Carmen oder bin ich das Arschloch der achtziger Jahre“ einige verschämte Grinser zu ernten.

Und der Dichter selbst? Der ob seines zuletzt erschienenen Rotlicht-Romans „Einer von der Straße“ arg gescholtene Münchner Cowboy saß in einer Nische des Spiegelzelts, den Kragen des Jeanshemdes unterm roten Blazer verwegen hochgeschlagen, und genoß den „wunderschönen Abend“. Gerade mal eine Stunde hatte der gedauert, und während man am Nebentisch noch schnell den neuen Wenders-Film aburteilte („zu langatmig, zu anstrengend“), blieb hier nur das Fazit: zu kurzwellig, zu langweilig. Bernd Imgrund