Gewinnen wird ein altes Gesicht

Die Partei Benazir Bhuttos ist Favorit bei den heutigen Parlamentswahlen in Pakistan / Die Wähler begeistert sie trotzdem nicht, zwei Drittel wünschen sich „neue“ Politiker  ■ Aus Karachi Bernard Imhasly

Ist Pakistan, fünf Jahre nach den ersten freien Wahlen, des demokratischen Experiments bereits überdrüssig? Das herausstechende Merkmal des zu Ende gegangenen Wahlkampfes jedenfalls war das Desinteresse, welches ein gähnendes Wahlvolk den Kampagnen der Parteien entgegenbrachte. Die beiden Protagonisten Nawaz Sharif und Benazir Bhutto vermochten ihre Kundgebungen zwar mit den obligaten applaudierenden Menschenmengen zu füllen. Aber obwohl sich die zwei Widersacher heiser schrien vor gegenseitigen Anschuldigungen, sprang der Funke nicht auf die breite Bevölkerung über.

Selbst in Karachi – als Wirtschaftsmetropole mitten in einer Elendsprovinz ein Herd sozialer Konflikte – begegnen die Pakistani Fragen nach den Wahlen mit zynischem Humor: „Welche Wahlen“, fragt ein Taxichauffeur ironisch. Ein Geschäftsmann meint mit gespielter Erleichterung, die Wahlbeteiligung liege sicher über null Prozent; die Wahl eines Premierministers sei damit gesichert. Der Wahlkampf blieb hauptsächlich beschränkt auf die Plakatwände und Flaggen, mit denen die Parteien ihre Territorien markierten.

Mangel an glaubwürdigen Alternativen

Die Medien, unter denen vor allem das Fernsehen zum erstenmal die Chance einer unparteiischen Berichterstattung nutzt, geben der Auseinandersetzung weit mehr Raum, als er in den Köpfen des Stimmvolks einzunehmen scheint. Sie registrieren aber gleichfalls die weitverbreitete Desillusionierung. Den Grund dafür sehen sie nicht in erster Linie darin, daß dies bereits die dritten Wahlen in den letzten fünf Jahren sind. Vor allem der Mangel an glaubwürdigen Alternativen verdrieße das Volk. Benazir Bhutto hatte schon einmal, nach dem Wahlsieg ihrer Partei im Jahr 1988, die großen Hoffnungen ihrer Anhänger enttäuscht. Nawaz Sharif, der ihr im Amt des Premierministers folgte, mochte wohl effizienter sein als seine Widersacherin; leider war er das aber auch, wenn es darum ging, sein Amt für private Zwecke einzusetzen. Das Montagsmagazin Newsline kam in einer repräsentativen Meinungsumfrage zu dem bezeichnenden Ergebnis, daß 85 Prozent der Befragten die gegenwärtige – nicht gewählte – Übergangsregierung einer gewählten Regierung vorziehen. Nur 20 Prozent glauben, die Wahlen würden an der Misere des Landes etwas ändern; zwei Drittel wünschen sich ein „neues Gesicht“ als Premierminister.

Der Wunsch wird mit Sicherheit nicht in Erfüllung gehen: der Wahlsieger wird entweder Frau Bhutto oder Herr Sharif heißen, weit und breit die einzigen Politiker mit einer nationalen Ausstrahlung. Der Wahlkampf hat sich denn auch auf eine persönliche Auseinandersetzung zugespitzt, hinter der die politischen Programme verschwanden.

Nawaz Sharif stellte seine Zuhörer vor die Wahl zwischen „Demokratie oder Dynastie“. Er ließ keine Gelegenheit aus, das politische Techtelmechtel zwischen „Bibi“ und „Baba“ zu verhöhnen: mit dem Kosenamen „Bibi“ (Schwester) ist im prüden Pakistan Benazir Bhutto gemeint, während hinter „Baba“ der ehemalige Präsident Ghulam Ishaq Khan steckt; mit ihm hatte sich Bhutto trotz Erzfeindschaft verbündet, um Nawaz Sharif im letzten Sommer zu stürzen. Dieser Opportunismus hat ihrer Popularität offenbar nicht geschadet. Nachdem auch die Herausforderung durch ihren Bruder Murtaza wirkungslos verpuffte, sehen die meisten Beobachter in ihr bereits die nächste Premierministerin des Landes. Eine Reihe von „unabhängigen“ Politikern haben dies bereits von Beginn an geahnt: Sie ließen sich ein „Ticket“ auf der PPP-Liste viel kosten, weit mehr, als sie bezahlen hätten müssen, um Kandidat bei der konkurrierenden Muslim Liga zu werden.

Erfolg bei Parlamentswahlen ist erst der halbe Sieg

Ein Sieg der Pakistanischen Volkspartei (PPP) wäre aber nicht nur dem gleichbleibend hohen Marktwert Frau Bhuttos zuzuschreiben. Die PPP profitiert auch von der Konkurrenz Nawaz Sharifs mit seinem ehemaligen Koalitionspartner, der „Jamaat Islami“-Partei. Diese hat sich einen neuen Namen und ein neues Programm zugelegt: Sie heißt jetzt „Pakistan Islamic Front“, und ihr Führer Qazi Hussain Ahmed hat seiner religiösen Agenda eine sozialpolitische Note gegeben. Damit will er genau jene konservativen Unterschichten ansprechen, auf deren Stimmen eigentlich Nawaz Sharif spekuliert. Der Wahlboykott der regionalen „Mohajir Qami Bewegung“ (MOM) aus der Provinz Sindh, die mit ihren 15 Sitzen im letzten Parlament die drittgrößte Fraktion gebildet hatte, ist ein weiteres Plus für Bhutto: Die Mehrzahl dieser Wahlkreise könnten an die PPP fallen.

Mit einem Sieg in der Parlamentswahl wäre der Krieg für Frau Bhutto aber nur halb gewonnen: Drei Tage nach dem 6. Oktober folgen die Provinzwahlen. Falls eine Sympathiewelle den Verlierer der ersten Runde dort in die Regierungen trägt, dann stehen sich die zwei alten Gegner als Regierungsparteien auf Landes- und Provinzebene wieder gegenüber. Angesichts der föderalistischen Struktur des Landes und des großen Gewichts des Gliedstaates Pandschab könnte dies bedeuten, daß sich – wie bereits in der ersten Regierungsperiode Benazirs – beide Regierungen gegenseitig weitgehend lahmlegen.

Jeder Sieger wird sich allerdings mit der Interimsregierung von Moeen Qureshi vergleichen lassen müssen. Dieser hat in den drei Monaten seiner Herrschaft Erfolge bei der Bekämpfung der Korruption und des Drogenhandels sowie bei der Reform der Staatsfinanzen erzielt, an denen Pakistan seinen Wahlsieger messen wird. Premierminister Qureshi ist es gelungen, dem desillusionierten Wahlvolk wenigstens eine Genugtuung zu geben: wer immer am 6. und 9. Oktober gewinnt, der hat seinen Sieg diesmal nicht Wahlfälschungen und Einschüchterungen zu verdanken, sondern einer fairen Wahl.