Stark ätzendes Wirtschaftsgut

Neuer Müllschieberskandal: Ein Hallenser Unternehmer hat unter den Augen der Behörden eine aggressive Säure nach Ungarn verschoben  ■ Aus Halle Eberhard Löblich

Auf dem Bahnhof von Kecel in Ungarn steht ein Güterzug und wartet auf das Abfahrtsignal nach Deutschland. Inhalt der Spezialkesselwagen: 207 Tonnen Merzol, ein hochgradig saurer Grundstoff für Reinigungsmittel. Nach Ungarn gebracht wurde das aggressive Zeug von der Hallenser Firma Nemeth und Böttcher. Adressat in Ungarn war die Firma „Nemet es Tarsa“ (Nemet und Partner). Die Ähnlichkeit der beiden Namen ist nicht zufällig, denn bei beiden handelt es sich um den Hallenser Kaufmann Thomas Nemeth, den Drahtzieher im neuesten deutsch- osteuropäischen Müllskandal.

Zwar kann sich Nemeth im Fall Kecel vielleicht sogar noch darauf hinausreden, daß Merzol tatsächlich ein Grundstoff für Waschmittel und damit Wirtschaftsgut sei. Hätte er es aber als solches verwenden und weiterverkaufen wollen, hätte er es sicher sachgerechter gelagert.

Statt dessen pumpte er den Stoff bei einem Landwirtschaftsbetrieb in Kecel in einfache Lebensmitteltanks. Die waren zwar mit Chrom- Vanadium-Stahl ausgekleidet, aber den fraß die hochaggressive Säure (pH-Wert 1!) innerhalb weniger Wochen durch.

Jetzt streiten sich die ungarischen Behörden, das deutsche Bundesumweltministerium und die Umweltschutzorganisation Greenpeace darum, wer den Rücktransport zahlt. Denn Nemeth ist derzeit für niemanden zu erreichen. Zwar drohte er den Greenpeace-Giftmüllspezialisten anfangs noch eine Verleumdungsklage an, aber davon ist jetzt keine Rede mehr. Denn das angebliche Wirtschaftsgut in Kecel ist nicht das einzige Giftmüll-Geschäft, in dem Nemeth seine schmutzigen Finger drin hatte. Kriminell aktiv zeigte er sich nicht nur bei dem illegalen Export hochgiftiger Abfälle nach Ungarn.

Nemeth ist geschäftlich eng verbandelt mit den Firmen „Hannelore Siebrands Import Export“ und „Wimpex H. Siebrands GmbH“, die vom Kaufmann Harm Siebrands betrieben wird. Der ist auch als Manager maßgeblich an der Firma „Rimex“ beteiligt. Und dieses Firmenimperium, das nicht ungern unter diversen Briefkästen firmiert und ständig seine Gesellschaftsstruktur ändert, verschob unter den Augen deutscher Behörden tonnenweise abgelaufene und verdorbene Laborchemikalien, flüssiges Quecksilber und DDT in die Ukraine. Im Mai dieses Jahres flog der Skandal nach intensiven Greenpeace-Recherchen auf. 35 Fälle illegalen Giftmüllexports dokumentierten die Umweltschützer damals. Seither ermittelt zwar das Landeskriminalamt, den Müllschiebern wurde aber bis heute nicht das Handwerk gelegt.

Auch in dem neuen Skandal von Giftmüllexporten nach Ungarn taucht neben Nemeth immer wieder der Name Siebrands auf. Seit Oktober 1992, so Greenpeace in einer umfangreichen Dokumentation, sind an drei verschiedenen Orten in Ungarn mindestens 300 Tonnen deutschen Giftmülls angekommen. Altfarben, ätzende Flüssigkeiten mit Chlorkohlenwasserstoffen, Salzsäuren und Schwefel, metallisches Quecksilber, Filterrückstände und Altchemikalien. „Alles ist als Wirtschaftsgut deklariert und von Siebrands und Konsorten verschoben“, so Greenpeace-Giftmüllexperte Andreas Bernstorff.

Das Budapester Umweltministerium hat Nemeth und Böttcher ein mittlerweile abgelaufenes Ultimatum zum Rücktransport des Giftmülls gestellt. Als das nichts fruchtete, wandte sich das ungarische Umweltministerium hilfesuchend an den deutschen Kollegen in Bonn. Aber Klaus Töpfer winkte ab. Man werde die Abfälle nicht direkt zurücknehmen, das Problem müsse privatrechtlich mit den beteiligten Firmen geregelt werden. Schließlich sei der Exporteur bekannt. Töpfer kann sich bequem zurücklehnen und sich mal wieder auf ein Versäumnis von Bundesregierung und Bundestag berufen. Die Bundesregierung, so hieß es aus dem Bonner Umweltministerium, werde die Rückholung des illegal nach Ungarn transportierten Giftmülls weder organisieren noch bezahlen. Schließlich sei sie dazu auch nicht verpflichtet, weil die Konvention von Basel, die derartige Haftungsfälle internation regelt, noch nicht in deutsches Recht umgesetzt sei.