Der Kojote über dem Abgrund

Der Actionfilm ist so alt wie das Kino selbst / Nach „Die Hard“ scheint Hollywood nichts Neues mehr einzufallen / Stirbt mit McTiernans „Last Action Hero“ das ganze Genre?  ■ Von Karl Wegmann

Man muß John McTiernan nicht unbedingt lieben, aber man sollte ihn hochachten. Er ist schließlich der Regisseur, der 1987 mit „Stirb langsam“ die Meßlatte in der Disziplin Action auf eine neue, waghalsige Höhe legte. Nebenbei installierte er mit Bruce Willis einen neuen Helden und blies endlich wieder etwas frischen Wind in die toten Hosen des Genres. In den folgenden Jahren versuchten etliche Filmemacher diese neue Höhe zu überspringen – vergeblich. Selbst McTiernan brachte das Kunststück kein zweites Mal fertig. Er scheiterte 1990 mit „Jagd auf Roter Oktober“ und jetzt wieder mit „Last Action Hero“.

John McTiernan studierte zunächst Film an der State University of New York, bevor er ein Stipendium des renommierten American Film Institutes erhielt. Die drei größten Theoretiker zum Thema „Dramaturgie und Gewalt“ sind für ihn: Antonin Artaud mit seinem „Theater der Grausamkeit“, Bertolt Brecht und Wyle E. Coyote (für Nichteingeweihte: letzterer ist der Kojote aus den Roadrunner-Zeichentrickfilmen). McTiernan meint das ganz ernst und weiß auch warum: „Wyle E. Coyote hat in diesen Cartoons das Prinzip der Actionszene ein für alle mal definiert: Er rennt über einen Felsvorsprung hinaus, bleibt einen Augenblick in der Luft stehen, schaut nach unten, dann in die Kamera – und stürzt schließlich ab. Das ist Action pur! Wyle hat nicht nur mich maßgeblich damit beeinflußt, sondern alle, die im Film, Fernsehen oder in der Werbung zu tun haben.“ Damit mag er, was die jüngere Generation der Action- Regisseure angeht, recht haben. McTiernan übersieht aber, daß Action und Komödie im amerikanischen Filmschaffen schon immer eng zusammengehörten.

Action ist kein eigenes Kinogenre, der Ausdruck bezeichnet vielmehr als Sammelbegriff alle Filme, deren zentrales Motiv die Darstellung extrem physischer Diskussion wie Faustkämpfe, Schießereien oder Verfolgungsjagden ist. Action bedeutet immer Dramatik, Kampf der Gegensätze, Zuspitzung der Spannung. Ohne Action passiert nichts, bewegt sich nichts. Damit ist die Geschichte des Actionfilms identisch mit der des Kinos selbst, dessen ursprüngliche Attraktion ja gerade in der lebensechten Wiedergabe von spektakulärer Bewegung besteht. Schon der historisch erste Spielfilm – Edwin S. Porters „The Great Train Robbery“ (1903) über einen Eisenbahnüberfall mit anschließender Verfolgungsjagd – war ein echter Actionfilm. Die klassischen Actiongenres, also Abenteuer-, Kriegs-, Science-fiction-, Kriminal-, Sport-, Horrorfilm und Western, entwickelten sich bereits im Stummfilm und dem frühen Tonfilm. Die engste Verwandtschaft der Action besteht aber mit der Kinokomödie. Die Herausbildung des Actionfilms, besonders in Amerika, deckt sich weitgehend mit der Entwicklung der Stummfilmkomödie. Mack Sennetts zumeist in einer wilden Verfolgungsjagd endenden Grotesken mit den „Keystone Cops“, Charlie Chaplin, Buster Keaton oder Harold Lloyds Hochhausturnerei – alles Vertreter sowohl des Actionkinos als auch der Komödie.

Vielleicht hatte John McTiernan ja die Geschichte des Films im Kopf, als er nun mit „Last Action Hero“ den Versuch unternahm, eine zeitgemäße Actionkomödie zu inszenieren. Wollte er zurück zu den Wurzeln? Schon möglich. Allein, er machte einen entscheidenden Fehler: Er überließ (gezwungenermaßen) Arnold Schwarzenegger das Kommando. Der weiß zwar, wie man Verträge aushandelt (15 Millionen Dollar pro Auftritt), hat aber vom Filmemachen noch weniger Ahnung als von Schauspielkunst. Um den Superstar an das 70-Millionen-Dollar- Projekt zu binden, lockte ihn Columbia Pictures mit einem ganzen Bündel von Entscheidungsbefugnissen: Big Arnie durfte Regisseur und Drehbuchautoren bestimmen und war als ausführender Produzent der große Boß auf dem Set. So wurden erst einmal massenhaft Hollywood-Promis und Schwarzenegger-Freunde (Sharon Stone, Chevy Chase, Tina Turner, Little Richard, James Belushi et cetera) für Gastauftritte engagiert, Arnies Frau Maria Shriver wurde in den Film gepackt nebst Werbung für seine Restaurantkette. Eines der besten Studios für Computeranimation, R/Greenberg-Associates (RGA), bekam den Zuschlag für die Tricks und kopierte auch noch Humphrey Bogart in die Handlung ein, wie seinerzeit mit Woody Allen in den Dokumentaraufnahmen von „Zelig“ vorexerziert. Mister Schwarzenegger ließ es sich auch nicht nehmen, Ingmar Bergman, Shakespeares Hamlet („Sein oder Nichtsein“ – was sonst?) und ungefähr fünf Dutzend moderne Lichtspiele zu zitieren. Als Sahnehäubchen klaubte man für den Soundtrack – die Zielgruppe scharf im Auge – die zur Zeit populärsten Heavy-Metal- und Grunge-Kapellen zusammen. Nachdem der Hauptdarsteller dann noch kurz das ursprüngliche Filmposter verunstalten ließ, gab er großkotzig bekannt: „,Last Action Hero‘“ ist kein Film, sondern ein Ereignis.“ Mit ersterem behielt er recht.

Denn leider, leider vergaß irgend jemand, das österreichische Muskelgebirge darauf hinzuweisen, daß es bei seinem ganzen Zierleistenanschrauben die Story völlig vergessen hatte. Der rote Faden der Handlung war nämlich längst zum gordischen Knoten mutiert.

Erzählt werden sollte die Geschichte vom elfjährigen Actionfan Danny Madigan (Austin O'Brien) der mittels einer magischen Eintrittskarte in die Leinwand gesaugt wird und mit seinem Idol Jack Slater (Arnold Schwarzenegger) in der fiktiven Filmwelt haarsträubende Abenteuer erlebt. Zu sehen ist ein Knalleffekt nach dem anderen, ein wildes Herumspringen zwischen inszenierter Fiktion und inszenierter Realität. „Eine Prügelversion von Woody Allens ,Purple Rose of Cairo‘“, erkannte Cinema.

„Last Action Hero“ ist in der Tat nichts anderes als eine mehr als zweistündige geballte Ladung aus Stunts und Effekten, immer gepaart mit dem deutlichen Hinweis, das alles sei doch bloß Kintopp – langweilig und ärgerlich. „Was ein Film im Film werden sollte“, spottete USA Today, „ist ein Film ohne Film geworden.“

Haben Schwarzenegger und McTiernan dem Genre, das sie auf die Schippe nehmen wollten, also ein Grab geschaufelt? Ist mit dem „Letzten Actionheld“ der Actionfilm endgültig am Ende? Mit Sicherheit nicht! „Actionfilme wird es immer geben“, da hat McTiernan recht. Nur, es braucht mal wieder ein paar neue Ideen und nicht immer wieder noch gigantischere Materialschlachten und Special- effects-Orgien, um den Actionfilm lebens- und liebenswert zu erhalten.

In den 30er und 40er Jahren war Howard Hawks mit „Scarface“ (1932), der immer noch besten Screwball-Comedy, „Leoparden küßt man nicht“ (1938), und der famosen Chandler-Adaption „Tote schlafen fest“ (1946) der bedeutendste Vertreter des Actionkinos und inspirierte zahlreiche Regisseure in den USA und in Europa. Großen Einfluß auf die formale Gestaltung moderner Actionfilme nahm in den 50er Jahren der japanische Regisseur Akira Kurosawa, dessen mit Zeitlupe, Großaufnahmen und pointiertem Schnitt perfekt getimte Kampfszenen wie in „Die sieben Samurai“ (1954) oder „Die verborgene Festung“ (1958) ein Vorbild für viele spätere Filme des Genres lieferten und zu Remakes in Westernform führten: Aus den „Sieben Samurai“ wurde John Sturges „Die glorreichen Sieben“ (1960), aus „Rashomon“ Martin Ritts „The Outrage“ (1964).

Aber in den 60er Jahren war es vor allem Sergio Leone mit dem Italowestern, der den Actionfilm weiter vorantrieb, und zwar ebenfalls mit einem Kurosawa-Remake: „Für eine Handvoll Dollar“ (1964) entstand nach „Yojimbo“. Im Spaghettiwestern verfielen sämtliche moralischen Werte. Clint Eastwood als ,Mann ohne Namen‘ tötet nicht mehr im Namen irgendeiner Ideologie, sondern eben „Für ein paar Dollar mehr“. Don Siegel übernahm später diesen Typ (und den Schauspieler) und machte aus ihm „Dirty Harry“ (1971). Es war jedoch vor allem Sam Peckinpah (1925 bis 1984), der sich Leones Antihelden – Figuren ohne Tiefe, aber mit scharfen Konturen – zunutze machte und mit Filmen wie „The Wild Bunch“ (1969) nachdrücklich die Allgegenwart der Gewalt in der amerikanischen Gesellschaft schilderte, zugleich aber auch die Faszination an ihr durch eine hochstilisierte Darstellung der Gewalt demonstrierte.

Die 70er gehörten Action-Regisseuren wie dem Howard- Hawks-Fan John Carpenter; dem Australier George Miller, der mit seinen „Mad Max“-Roadmovies dem Actionfilm eine atemberaubende Geschwindigkeit verpaßte; dem Horrorspezialisten George A. Romero, dessen „Living Dead“- Filme die bis heute beißendste Gesellschaftskritik lieferten; natürlich Darsteller/Regisseur Clint Eastwood („Sadistico“) und William Friedkin („French Connection“). In den 80er Jahren gelang zunächst Walter Hill mit „Nur 48 Stunden“ (1983) und „Straßen in Flammen“ (1984) eine Wiederbelebung des Actionfilms durch Rückbesinnung auf die Genretradition und unter Berücksichtigung der MTV- Ästhetik. Das gleiche gilt für Steven Spielberg und sein Indiana- Jones-Spektakel. Kaum zu übersehen tendierten die Arbeiten beider Regisseure wieder zur Komödie.

Doch auch in anderen Actionfilmen der 80er läßt sich jede Menge Witz ausmachen, so etwa in James Camerons „Terminator“ (1984), wenn Arnold Schwarzenegger einen Roboter spielt, der völlig emotionslos ein Kinderspielzeug zertritt.

John Badham läßt in seiner Actionkomödie „Auf die harte Tour“ (1991) die Helden eine Wohnungstür eintreten, worauf die Eindringlinge von den fernsehenden Bewohnern ein müdes „Ist doch alles schon auf Video, Mann“ zu hören bekommen. Dieser Gag zeigt das ganze Drama des Actionfilms der 90er: Es ist alles schon mal dagewesen, nichts Neues vor dem Projektor. Die immer gleichen Leute machen immer dieselben Filme, solange sie noch einen halbwegs akzeptablen Gewinn abwerfen. Ein Beispiel: „The Last Boy Scout“ (1991) von Tony Scott mit Bruce Willis wurde produziert von Joel Silver, der auch „Lethal Weapon“ I, II und III und „Stirb langsam“ I und II machte, das Drehbuch schrieb Shane Black, der auch für die Bücher zu „Lethal Weapon“ I und II und jetzt wieder für „Last Action Hero“ verantwortlich zeichnet.

Lange wurde für Bruce Willis (der übrigens gerade in den USA als durchgedrehter Wasserschutzpolizist in „Tödliche Nähe“ die Kinokassen füllt) eine Geschichte für „Stirb langsam III“ gesucht. Nicht so einfach; nachdem er zunächst einen Wolkenkratzer auseinandergenommen und danach einen ganzen Flughafen zerlegt hatte, war eine Steigerung zwingend. Man dachte zunächst an ein riesiges Schiff, das er zu Klump hauen könnte. Doch der Idee kam Andrew Davis mit „Alarmstufe: Rot“ und dem neuen Actionheld Steven Seagal zuvor. Dann bastelte man an einer Geschichte mit einem Jumbo-Jet und überlegte zu lange: Kevin Hooks landete mit „Passagier 57“ einen Überraschungserfolg. Schließlich fand man dann doch noch ein geeignetes Aggressionsobjekt für Willis: Im dritten „Stirb langsam“ darf er sich jetzt das komplette New Yorker U- Bahn-Netz vornehmen. Wie gesagt, Materialschlachten, keine Ideen.

John McTiernan ist auf jeden Fall seinem Vierbeiner treu geblieben. In „Last Action Hero“ sieht man in einer Szene Jack Slater an einem Aufzug hängen, und dann, bevor er zwanzig Stockwerke in die Tiefe fällt, frontal in die Kamera schauen. Klassische Coyote- Dramaturgie. Nur: der Wüstenköter ist vielleicht nicht so stabil gebaut wie Arnold Schwarzenegger, dafür aber bedeutend witziger.

„The Last Action Hero“ von John McTiernan. Mit: Arnold Schwarzenegger, Austin O'Brian und vielen, vielen anderen; USA 1993; 132 Min.