Melancholisches Kammerspiel

Dreiecksgeschichte um eine Violine: „Ein Herz im Winter“ von Claude Sautet  ■ Von Gerhard Midding

Die Violinistin ist nervös. Ihre Aufnahme des Ravel-„Trios“ steht kurz bevor, und es gelingt ihr nicht, den richtigen Ton zu treffen. Der Geigenbauer hatte zunächst keinen Fehler an ihrem Instrument entdecken können. Erst später läßt er sich darauf ein, das Stimmholz ihrer Violine nachzubessern. Warum er das nicht früher getan habe? Es brauche seine Zeit, die richtige Spannung zu finden. Nun spielt sie ihm eine Passage des „Trios“ vor, ein wenig zu schnell, zu heftig für seinen Geschmack. Also wechselt sie zum vorgeschriebenen Tempo und spielt erneut für ihn. Er aber verläßt plötzlich die Probe, verabschiedet sich mit einer Höflichkeit, die sie brüskiert.

Die besten Liebesszenen sind solche, in denen das Wort Liebe nicht vorkommt; es trifft sich aufs schönste, daß die französischen Geigenbauer für jenes kleine Holzstück, über das sie die Saiten einer Violine spannen, eine Vokabel gefunden haben, in der viel mehr mitschwingt als im deutschen „Stimmholz“: sie nennen es „l'Ûme“ (Seele). Vieles erzählt „Ein Herz im Winter“ vermittels der Musik, über die Gefühle, die sie birgt und auslöst; die Verletzbarkeit der Musiker, ihr Vermögen, sich beim Spielen zu öffnen, aber auch die Angst, sich zu entblößen. Er verrät ein Gespür für das Timbre von Instrumenten, aber auch eine Ahnung von ihrer Unvereinbarkeit mit anderen.

Eine Dreiecksgeschichte, die um eine Violine kreist. Stéphane (Daniel Auteuil) lebt, als habe er sich aus dem Leben zurückgezogen. Er hat die Rolle des Beobachters gewählt, der vorzugsweise durch die Erfahrungen und Erlebnisse anderer existiert. Er ist Geigenbauer; schon lange hat er es aufgegeben, selbst zu spielen. Er steht im Schatten seines Kompagnons und Freundes Maxime (André Dussolier). Als dieser ihm eröffnet, daß er sich in die Violinistin Camille (Emmanuelle Béart) verliebt hat, drängt er sich zwischen beide, halb aus Lust an der Manipulation, halb aus Sehnsucht. Indes, er wagt nur den halben Schritt: die theoretische Verführung der Geliebten des Freundes, die Verwirrung ihrer Gefühle, das Wecken ihres Begehrens, das er ins Leere laufen lassen will. (Ironie und Melancholie liegen über dieser verpaßten Liebe, wo Emmanuelle Béart und Daniel Auteuil doch im wahren Leben ein so hübsches Paar sind!)

Es ist faszinierend mitanzuschauen, wie ein Regisseur sich an einen gründlich unzeitgemäßen Stoff wagt: einen Liebesfilm, der seine Intrige nicht mit modisch-raffiniertem Komödienton drapiert, der das Marivauxsche „Man scherzt nicht mit der Liebe“ bitterernst nimmt. Als Kammerspiel inszeniert, wirkt Claude Sautets neuer Film fast überschwenglich, verschwenderisch in seinem Streben nach Intimität. Es gelingt ihm, mit Behutsamkeit von Gefühlen zu erzählen, die man in Rohmers Filmen zerredet glaubte.

Und es ist faszinierend mitanzuschauen, wie ein Autor, der für die Komplizenschaft mit seinen Figuren berühmt ist, mit der armseligen Grausamkeit seiner Hauptfigur umgeht. Sautet erzählt mit Nachsicht von den Dingen des Lebens; die alltäglichen Probleme von Vincent, François, Paul und all den anderen interessieren ihn leidenschaftlich. Truffaut hat ihn als den französischsten aller Regisseure gerühmt. Schon in einer kurzen Bistro-Szene gelingt es ihm, ein lebenspralles Milieu zu skizzieren, eine Vielzahl von Geschichten und die Schicksale eines ganzen Ensembles von Figuren zu verknüpfen.

Was reizt ihn nun, nach „Quelques jours avec moi“ (Einige Tage mit mir) zum zweiten Mal, von einer Figur zu erzählen, die alle Beziehungen zu ihrer Umwelt entweder vergiftet oder abgebrochen hat?

Die Idee des Drehbuches scheint aus der neuerlichen Lektüre von Lermontows „Ein Held unserer Zeit“ und dem intensiven Studium des „Trios“ und zweier Sonaten von Ravel entstanden zu sein. Sautet hatte seinem Hauptdarsteller Auteuil dieses Buch schon zur Vorbereitung von „Quelques jours“ in die Hand gedrückt; faszinierend, wie sich der genaue Beobachter Auteuil von den kleinsten Gesten des Lermontowschen Helden, etwa dem Verschränken der Hände hinter dem Rücken, inspirieren läßt. Verhaltene Leidenschaft, Grausamkeit und fiebrige Strenge treten so in Wechselrede. Entstanden ist daraus eine „Tragödie ohne Konflikt“, wie die Zeitschrift Positif feststellte.

Mit ein paar Blicken, einigen heftigen Worten und einer Ohrfeige ist es um die Liebe geschehen, die Hysterie ist der Weltsicht Sautets gänzlich fremd. Seine beruhigte Farbdramaturige – die sich immer nur im Konkreten, in den Kostümen und Dekors, offenbart – spielt dem zu. Sautet hat es schon immer verstanden, seine Filme in die Lebensfarben seiner Figuren zu tauchen, hier mißt er das Spektrum von Blau in all seinen Tönungen. Sein Kameramann Yves Angelo, der schon mit „Tous les matins du monde“ (Die siebente Saite) musikalische natures mortes kreierte, setzt ein klares Licht und wählt eine analytische Perspektive. Da offenbart sich auch eine Lust am Numerischen, an der Proportion: immer wieder gruppieren Angelo und Sautet die Musiker wahlweise im Duett oder zum Trio und spielen dabei das Dialogische und den Konkurrenzkampf der Instrumentierung Ravels aus. Auch visuell scheint sich Sautet von der Robustheit seiner Ensemblefilme zu verabschieden. Sein früherer Kameramann Jean Boffety arbeitete mit extrem langen Brennweiten, die immer wieder eine Distanz zu den Figuren schufen. Mit Yves Angelo hat er sich von vornherein seinen Akteuren genähert, hat sich beim Filmen geöffnet, ohne Angst, sich zu entblößen.

„Un coeur en hiver“ (Ein Herz im Winter). Regie und Co-Drehbuch: Claude Sautet, Kamera: Yves Angelo. Mit Daniel Auteuil, Emmanuelle Béart, André Dussolier u.a., 105 Minuten