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Exklusive Enklave am Kap

In den Weinbauzentren Paarl und Stellenbosch nahe Kapstadt ist von der aggressiven Spannung zwischen schwarzen und weißen Südafrikanern kaum etwas zu spüren  ■ Von Henk Raijer und Gunda Schwantje

Feiner Staub legt sich auf die ersten Reihen kernig-grünen Chardonnays, Sekunden nachdem der LKW am Ende des Feldwegs zum Stillstand gekommen ist. Auf der offenen Ladefläche verharren etwa 30 schwarze Frauen solange im Halbschlaf, bis aus dem Führerhaus der Befehl zum Arbeitsbeginn ertönt. Trotz der frühen Stunde ist es heiß an diesem Januarmorgen. Der Aufseher, ein schnauzbärtiger Blonder in knielangen Shorts und Wollsocken, verteilt kleine Scheren, gibt Anweisungen auf afrikaans. Die Frauen, einige mit einem Säugling auf dem Rücken, verlieren sich alsbald zwischen den Rebstöcken: 60 schwarze Hände machen sich daran, überschüssige Triebe zu stutzen, nachwachsende Trauben zu entfernen – Platz soll es haben, so kurz vor der Ernte, das edle Gewächs vom Kap der Guten Hoffnung. Der Aufseher hat sich's inzwischen bequem gemacht, von seinem Platz im Schatten der Pappeln am Wegesrand kann er „seine“ Arbeiterinnen im Auge behalten: „damit die keine Dummheiten machen“. Von hier aus auch kann er seinen Blick genüßlich schweifen lassen, stundenlang, wie er sagt, über die sonnenüberfluteten Weingärten, über die gezackten Bergketten und die schneeweißen kapholländischen Häuser von Paarl. Und zusehen, wie gerade die ersten Reisebusse das herrschaftliche Eingangstor zum Gutshof passieren; auf dem Weg zum Weingut Nederburg geht's vorbei an Südafrikas berühmten „Weißen“: Chauvignon blanc, Riesling, Chenin blanc und Chardonnay auf der linken, an seinen „Roten“: Cabernet sauvignon, Cinsaut, Pinot noir und Pinotage auf der rechten Seite.

Von neun Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags ist Weinprobe auf Nederburg, einem weit über die Landesgrenzen Südafrikas hinaus berühmten Traditionsgut am Stadtrand von Paarl – nach Stellenbosch die zweitälteste Siedlung im Hinterland von Kapstadt. Täglich werden hier Hunderte von Weintouristen aus aller Welt in die Geheimnisse des Weinmachens eingeweiht, hervorragend geschultes Personal führt sie durch die Kellereien. Anschließend werden die Qualitätstropfen vom Kap natürlich gekostet. Führungen sind auf englisch und afrikaans, um deutsche Gäste kümmert sich auf Wunsch aber gerne auch mal der Produktionsleiter selbst. Und was der gebürtige Bremer Gottfried Jost den Besuchern über seine computergesteuerten Fertigungsanlagen zu erklären vermag, ist mindestens so interessant wie der 15minütige Diavortrag mit seinen ästhetisierenden Bildern oder die Tour durch das Allerheiligste des Gutes, den Rotweinkeller: Bei der Weinprobe treffen sich die selbsternannten Connaisseure, hier wird geschnüffelt, gekippt und getestet. Nach dem vierten Glas Roten bestätigen sich die Mitglieder der Besuchergruppe schon gegenseitig den „leichten Ton“ des Pinotage, das „volle blumige Bouquet“, den „Waldbeergeschmack“ des Cabernet sauvignon.

„Wein“, sagt Gottfried Jost, „ist in Südafrika nicht nur ein edler Tropfen Alkohol. Bei uns wird das Weintrinken zelebriert, Wein ist eine Frage des Stils, eine Lebensart.“ Europäische Lebensart, meint der Experte zweifellos. Denn mit Afrika hat diese kuriose Enklave im sonst so rauhen Burenstaat so gut wie nichts gemein – nicht mal mit dem eigenen Hinterland Oranje Freistaat oder Natal. Welch anderer Agrarsektor zöge wohl Hunderttausende von Touristen an... Wein steht in Südafrika, auch drei Jahre nach dem formalen Ende der Apartheid, für Exklusivität: nämlich ausschließlich weiß.

Unwillkürlich rätselt der Besucher beim fünften Gläschen, wie die Weintraube überhaupt ihren Weg auf den Schwarzen Kontinent gefunden hat. Die Anfänge des Weingutes Nederburg reichen bis in das Jahr 1792 zurück. Begonnen hatte alles aber schon mit dem Holländer Jan van Riebeeck, dem ersten Kommandanten der jungen Siedlung am Tafelberg. Als dieser 1652 die ersten Europäer an Land brachte, erkannte er auf Anhieb die idealen Bedingungen für den Weinbau: warme trockene Sommer, feuchte milde Winter und jede Menge „williger“ Arbeitskräfte. Sogleich orderte van Riebeeck bei den Chefs seiner „Vereinigten Ostindienkompagne“ Rebstöcke aus Spanien, Frankreich und Deutschland. Und am 2. Februar 1659 konnte der Gouverneur stolz in seinem Tagebuch vermerken: „Heute, der Herr sei gepriesen, wurde zum ersten Mal aus Kaptrauben Wein gepreßt.“

Es sollten aber weitere zwanzig Jahre ins Land gehen, bis sich das zunächst ungenießbare Getränk in edlere Tropfen verwandelte. Denn erst van Riebeecks Nachfolger Simon van der Stel, der Begründer des späteren Weinbauzentrums Stellenbosch, verfügte über profunde Winzerkenntnisse. Schließlich aber war es vor allem der Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich und ihrer Ansiedlung in der neuen Heimat östlich von Kapstadt (1688) zu verdanken, daß am Ende die Mischung stimmte. Und das Ergebnis war derart gut, daß Portweine, Sherrys und Qualitätsweine gar ihren Weg zurück nach Europa fanden; Adlige und reiche Kaufleute waren es, die die Trauben vom Kap goutierten und sich mit dem Hauch des ganz besonderen Tropfen zu schmücken verstanden.

Erst eine Reblausplage am Ende des 19. Jahrhunderts stoppte den Siegeszug der edlen Kapweine und stürzte die wohlhabenden Winzer Südafrikas in eine schwere Krise. Doch kaum waren die Folgen der Krankheit bewältigt, die Weinberge mit Hilfe amerikanischer Rebstöcke gesundet, trieb alsbald eine massive Überproduktion so manchen Weinbauer in den Ruin. Das war die Geburtsstunde der „Ko-operatieve Wijnbouwers Vereeniging van Zuid-Afrika“ (KWV), die als Winzerzentralgenossenschaft seit 1918 über Preise, Mengen und Qualität wacht.

Die Verwaltungsgebäude und Hauptkellereien der KWV, die weitere Depots und Brennereien in Upington, Vredendal, Worcester und Robertson unterhält, befinden sich in Paarl. Insgesamt knapp 1.000 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen. Der gebürtige Moselaner Willy Hacker hat 32 Jahre für die KWV gearbeitet. Seit einigen Monaten ist er im Ruhestand, aber auch heute noch ist der Kellermeister regelmäßig „im Betrieb“. Zusammen mit seiner Frau Anneliese steht er auf Abruf bereit, wann immer deutsche Touristengruppen durch die heiligen Hallen geführt werden wollen. „Besucher aus Deutschland erwarten geradezu, daß man mit ihnen deutsch spricht“, erklärt Anneliese Hacker. Durchschnittlich 600 Besucher werden jeden Tag durch die Kellereien der KWV geschleust, seit 1993 (Februar bis September) täglich auch einmal in deutscher Sprache.

„Deutsche lieben unseren Pinotage“, erklärt der Mann, der über drei Jahrzehnte an der Qualitätsverbesserung dieser Kreuzung zwischen Pinot noir, jener Hauptsorte aus dem französischen Burgund, und der Rhône-Sorte Cinsaut mitgewirkt hat. „Für die Ursprungssorte Pinot noir ist es in diesem Land einfach zu heiß“, meint Hacker. „Der Pinotage hingegen gedeiht hier wunderbar, mit ihm liefern wir den Kunden in Europa den immer selben Geschmack, ganz leicht und harmonisch.“ Wiedererkennungswert charakterisiert auch den 1990er Cabernet sauvignon, „den König der Rotweine“, den Hacker uns im Vorstandszimmer der Kooperative kredenzt; für die Probe stehen eben auch relativ junge Weine auf dem Tisch. „In Südafrika reifen die Weine schneller“, so Experte Hacker.

Endgültig ins Schwärmen gerät der Kellermeister auf unserer Tour durch die unterirdischen Gewölbe der KWV, wo Millionen von Litern in gigantischen, bis zu 80 Jahre alten Fässern reifen. Ausdrücklich preist Hacker die Qualität der Behälter. Sie werden per Schiff aus Frankreich importiert, weil die heimische Eiche durch zu schnelles Wachstum für die Herstellung von Weinfässern ungeeignet ist. In bildreicher Sprache beschreibt er den unterschiedlichen „Holzcharakter“ eines jeden Rotweins und beschließt seine Lobeshymne auf die eigene Produktpalette mit einer Probe aus der Schatzkammer der KWV, dort, wo die 15- bis 20jährigen Dessertweine lagern. Zuerst nippen wir von einem Muscat d' Alexandrie (Hanepoot). „Bei diesem Likör atmen die Besucher aus der Provinz Transvaal immer auf“, lacht Hacker, „da bekommen die endlich einen Süßen vorgesetzt, einen, der ihnen schmeckt.“ Eigentlicher Hit sei aber der 1975er Jerepigo, „einer unserer Gewinner“, betont er zufrieden.

Rückfahrt nach Paarl. Auf den wenigen Kilometern ins historische Zentrum der Stadt besteht kaum Gefahr, mit Promille einer Polizeistreife ins Netz zu gehen. Das ist nicht nur der Tatsache geschuldet, daß Alkohol am Steuer unter den weißen Männern Südafrikas als Kavaliersdelikt gehandelt wird. Das liegt auch daran, daß die „South African Police“ im allgemeinen auf andere „Tätergruppen“ fixiert ist. Wobei eingeräumt werden muß, daß im beschaulichen Paarl von dem, was in Südafrikas Großstädten die latente Spannung zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Schwarz und Schwarz ausmacht, ohnehin so gut wie nichts zu spüren ist.

Heilfroh darüber ist Reana Rossouw, PR-Fachfrau beim Fremdenverkehrsamt in Paarl. Sie weiß, daß der soziale Frieden in ihrem Städtchen mit Zugeständnissen an die schwarze Bevölkerungsmehrheit erkauft wurde. Denn wo jährlich Hunderttausenden von Besuchern der Reichtum so ins Auge sticht wie etwa in Stellenbosch oder Paarl, müssen Stadtväter und Winzer schon aus wohlverstandenem Eigeninteresse immer etwas mehr tun, um den enormen sozialen Sprengstoff herunterzuspielen. Kaum zwanzig Autominuten von der Wellblechhüttensiedlung Khayelithsa bei Kapstadt entfernt leben hier im Weinberg schwarze Familien in weißgetünchten Backsteinhäuschen, tragen frisch gestärkte Schürzen und Overalls, können lesen und schreiben.

Der Wohlstand und der Antrieb, ihn zu konservieren, machten es möglich. Auch vom Boykott war die Weinbranche nie sonderlich betroffen. „Unseren Wein haben wir immer verkaufen können“, sagt Reanna Rossouw, „und Touristen hatten wir hier in Paarl auch stets.“ Immer mehr würden es neuerdings, jetzt, wo Südafrika durch das Ende der Apartheid der Welt wieder nähergerückt und das Land durch die Rezession für Europäer touristisches Billigland geworden sei. Heute kämen allen voran gut ausgebildete, zahlungskräftige Deutsche, meist in Gruppen, nach Paarl, ausdrücklich des Weines wegen – während die biertrinkenden „Vaalies“, die Urlauber aus dem ländlichen Transvaal, einen Kurztrip ins Weingebiet nur wagten, wenn am Ozean der Wind das Badevergnügen einschränke. Da hat Reana Rossouw lieber die Welt in Paarl zu Gast. Und hofft nun inständig auf ein Gelingen des Versöhnungsprojekts Nelson Mandelas und Frederik De Klerks – damit nicht Paarl und seine Winzer am Ende die Früchte des Zorns werden ernten müssen.

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