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KommentarOhne Höflichkeit droht die totale Anarchie

■ Aggressiv, böllerig und unangenehm

Gutes Benehmen – die Art, wie Menschen miteinander umgehen, um eine stabile und gesunde Nation zu bilden – ist im englischen Alltag so gut wie verschwunden. Leute fordern mich auf, in andere Länder zu reisen, um zu sehen, wie man sich wirklich schlecht benimmt, ein paar Tage in New York oder Moskau zu verbringen, beispielsweise. Ich kenne diese Orte nicht, aber jeder, der schon mal im Fernen Osten war, schwärmt mir vor, wie gut sich die Menschen dort benehmen, und daß die Briten sich im Vergleich zu ihnen wie Tölpel benehmen.

Allein die Art, wie wir autofahren, einkaufen, spielen, unsere Kinder erziehen und unsere Arbeit machen, ist so aggressiv, böllerig und unangenehm, daß wir regelrecht erstaunt sind, wenn uns plötzlich jemand freundlich kommt. Leute, denen man die Tür aufhält, laufen durch, ohne sich zu bedanken – als setzten sie so etwas voraus. Autofahrer fluchen und signalisieren jedem, er solle ihnen bloß aus dem Weg gehen. Verkäufer halten es nicht mehr für nötig, ihre Unterhaltungen zu unterbrechen, während sie ihren Kunden das Geld abnehmen, ohne sie überhaupt dabei anzuschauen.

Diese Umstände sind sicher nicht universal, aber verbreitet genug, um eine ernsthafte Bedrohung darzustellen. Das zur Farce gewordene Wort „freundlich“ muß gerettet werden, bevor es zur Maske für Heuchelei wird. Freundlich zu sein heißt, genug Selbstsicherheit zu haben, um mit den Aggressionen anderer Leute fertig zu werden und mit Selbstkontrolle zu antworten. Ich denke, daß Höflichkeit die Menschen stärker macht, weil sie besser auf andere wirken. Verbreitete Höflichkeit und Selbstkontrolle können mehr bewirken als Gesetze.

Sollten die Dinge allerdings so weiterlaufen wie bisher, bin ich mir sicher, daß es nicht mehr lange dauert, bis die Bürger unregierbar werden. Dann droht irgendwann die totale Anarchie. Die Gesetzgebung allein kann einfach keine Antworten auf unsere drückenden innermenschlichen Probleme geben – das muß gewissermaßen eine Graswurzelrevolte tun. Anführen müssen sie all jene, die nicht glauben können, daß wir unter einer Außenschale von hochmoderner Technologie noch immer Neandertaler im Innern sind. Reverend Ian Gregory

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