piwik no script img

■ Vorlauf„Halbe Menschen“

„Atomnomaden im Pazifik“, Radiofeature beim DS-Kultur, 15.35 Uhr

Türkisblaue Wellen, weißer Palmenstrand, kreischende Seevögel. Ohrenschmeichelnde fremde Gesänge begleiten die Schiffspassage durch den Pazifik. Doch der Schein trügt – wie wir hören werden. Und wenn in diesem paradiesischen Ambiente die Jungs vom US-Energieministerium eine Party schmeißen – dann ist das weniger eine „good will“- als eine „bad conscience“-Veranstaltung. Man servierte den Gästen Kokosnuß-Krabben, erzählt Lenäjou. Die Tiere also, von denen die Bewohner der Marshall- Inseln nur noch eins täglich verzehren dürfen – und wahrscheinlich ist auch das noch zuviel.

Die US-Gäste aber ziehen ihr „Schauessen“ durch, denn: Einmal ist (fast) keinmal – das wissen sie. Viele von denen, die immer hier leben müssen, tragen, wie Lenäjou, hauchfeine Narben am Hals. Zeichen ihrer Krebsoperationen. Als Erinnerung an ihr Leiden nennen einige Mütter ihre Kinder „Thyroid“ (Schilddrüse).

Zur „Verbesserung der Lebensbedingungen“ der Bewohner war die Marshall-Inselgruppe nach dem Zweiten Weltkrieg den USA zugesprochen worden. Doch statt treuhänderisch zu verwalten, nutzte die US-Regierung die Bewohner als Versuchskaninchen und mißbrauchte die Inseln als Atomlabor. Seit dem 1. März 1954, als das Dröhnen der H-Bombe „Bravo“ die klare Luft zerriß, gilt die sinnliche Wahrnehmung hier nichts mehr. Die Atollbewohner sind verunsichert und desorientiert. Man kann es nicht schmecken, nicht hören, riechen, fühlen, und sehen schon gar nicht – aber trotzdem lauert das „Gift“ überall. Lenäjou lacht sehr viel. Aus Abwehr, aus Verzweiflung? „Das Gift wird uns alle vernichten.“ Sie ist eine von zwei Frauen, die Autor Thomas Worm erzählen läßt. Stellvertretend für alle Mißbrauchten, die als Kinder ahnungslos im Fallout spielten und weiter verstrahlte Früchte aßen.

Noch bis 1991 leugnete die US-Regierung genetische Schäden. Doch die Frauen erzählen mit gebrochenen Stimmen und mühevollen Worten von monströsen Mißgeburten, „Quallenbabies, Froschköpfen“ – Horrorgeschichten. Seit sie Atomnomaden sind, Vertriebene und ohne Land, fühlen sie sich als „halbe Menschen“. Gaby Hartel

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen