Bums - schon wieder ein Wettbewerb!

■ Jürgen Meyer-Josten, Leiter der Jury beim Bremer Klavierwettbewerb, über die Inflation der Preisträger und die Wonnen des Jurierens

Abertausende von jungen Klavierspielern haben sich schon um die Punkte abgemüht, die er zu vergeben hatte: Jürgen Meyer-Josten (59), Pianist i.R., ist einer der erfahrensten deutschen Juroren. Er leitet den berühmten ARD-Wettbewerb und derzeit auch den nicht ganz so berühmten bremischen Klavierwettbwerb. Die taz sprach mit ihm über alles, was sich mehr oder weniger bewerten läßt.

Man hat einmal einen sehr hinterhältigen Test mit einer Klavierjury gemacht...

Jürgen Meyer-Josten: Oh! Zum Glück war ich nicht dabei.

Man hat die Juroren mit Ton- und Filmaufnahmen von Kandidaten derart ausgetrickst, daß rauskam: Der äußere Eindruck, den ein Kandidat macht, wirkt oft stärker als sein Spiel.

Ich fürchte, daß ist nicht so völlig falsch. Ich hab es selber oft festgestellt, daß Kollegen sich von der Erscheinung und vom Verhalten auf dem Podium sehr beeinflussen lassen. Also wenn mich einer gar zu stark irritiert, mache ich eben die Augen zu.

Warum numeriert man die Kandidaten dann nicht einfach durch und läßt sie hinter einer spanischen Wand spielen?

Es gibt Wettbewerbe, die das so machen, aber auch nur für die er

hier Mann mit Schlips und

Brille, Bitte schwarzen

Rahmen GANZ abchneiden

Juror Meyer-Josten: Tränen in die Augen bekommenF.: K.H.

ste Runde, wo entschieden wird, wer überhaupt weiter kommt. Ich bin überhaupt kein Freund davon, denn letztlich gehört alles dazu, auch der äußere Eindruck. Sie gehen ja auch ins Konzert, um jemanden zu sehen. Warum sollte man das vorher ausklammern? Denken Sie an Alfred Brendel, wie der daran gearbeitet hat, seine Zuckungen bei den Forte-Stellen loszuwerden. Es

sind ja Leute regelrecht ins Konzert gegangen, um Brendel zucken zu sehen.

Um vom Hören zu reden: Was begegnen Ihnen heute für Kandidaten, wenn Sie Ihr Amt ausüben? Andere als früher?

Interessant ist, daß im Lauf der Jahre das Gros der Musiker handwerklich immer besser geworden ist, immer sicherer, auch immer medientauglicher.

Mit einem Wort: abgebrüht?

Nervlich immer besser disponiert. Wenn früher jemand von Bach ein Präludium mit Fuge öffentlich spielen mußte, dann war das schon ein Härtetest. Das polyphone Denken, das macht sich nicht so von alleine. Aber vor drei Jahren zum Beispiel, auf dem Moskauer Tschaikowsky- Wettbewerb, da hatten wir 119 Pianisten, und ein einziger war ein kleines bißchen unsicher bei der Fuge. Sonst niemand, obwohl das auch noch gleichzeitig von Rundfunk und Fernsehen übertragen wurde. Da muß ich sagen: Donnerwetter! Daß heute die jungen Leute schon so fabelhaft konditioniert sind!

Wenn unter all diesen cleveren Jungmusikern noch einer herausragt: Woran liegt das?

Wenn einer die Fuge nicht so spielt, daß man sie hinterher schon wieder vergessen hat. Wenn man eine gewisse Intensität hört, eben eine künstlerische Persönlichkeit.

Aber bei Ihnen muß sich's letztlich in Punkten ausdrücken. Da bräuchten Sie doch deutlichere Kriterien.

Nun, vollkommen objektiv wird man es ja ohnehin nicht machen können. Aber deutlich zu hören ist es sehr wohl: wie jemand die Noten behandelt, wie jemand den Klang differenzieren kann - was mir persönlich zum Beispiel wichtiger ist als vielleicht vielen anderen. Ich kann's einfach nicht hören, wenn einer spielt wie mit lauter Daumen.

Gibt‘s da nicht oft Zwistigkeiten unter den Jurys? Oder gar eine Theoriedebatte?

Letzteres nicht; das hätte ja auch gar keinen Sinn. Es würde nur jeder seine Meinung erzählen. Aber widerstreitende Wertungen kommen durchaus vor. Pädagogen zum Beispiel urteilen meist anders als Juroren, die selber konzertieren. Die Pädagogen sehen den jungen Menschen, der sich vielleicht noch entwickelt; die andern sagen: Der ist ja gar nicht reif. Ich selber neige letzterer Fraktion zu. Es sollen die gewinnen, die im Konzertleben schon ohne weiteres bestehen können. Sie müssen's ja auch sofort.

Kann man überhaupt noch was werden, wenn man keinen Wettbewerb gewonnen hat?

Eigentlich nicht, leider. Ich bin ja nach all diesen Jahren noch immer kein Freund solcher Wettbewerbe. Da sträubt sich der Musiker in mir. Aber es ist nun mal das nahezu einzige Mittel, auf wirkliche Begabungen aufmerksam zu machen. Leider gibt es aber inzwischen viel zu viele solcher Wettbewerbe, so daß ein Preis an sich schon nicht mehr viel sagen muß. Jedes italienische Dorf, das noch ein bißchen für den Fremdenverkehr tun will, macht möglichst einen internationalen Pianistenwettbewerb. Irgendwelche Leute gibt‘s immer, die mal wieder ins schöne Italien wollen, Teilnehmer sowieso. Bums - schon wieder ein Wettbewerb. Dabei haben wir allein an internationalen von der seriösen Sorte schon über 90, von den zahllosen ganz obskuren zu schweigen. So setzt man immer mehr schwache Preisträger in die Welt, die den schlimmen Anforderungen einer heutigen Karriere gar nicht gewachsen sind. Die werden da einfach verheizt. Aber es kommen ja immer wieder neue nach.

Gibt es nicht auch einen weltweiten Wettbewerbstourismus, wo die ewigen Hoffnungsträger zirkulieren?

Absolut. Ob ich in Sidney bin, in Montreal oder in Tokio: immer wieder tauchen dieselben Figuren auf. Über Jahre hinweg, bis sie dreißig sind, dann dürfen sie nicht mehr. Im Lauf der Zeit werden die natürlich so routiniert, daß sie für einen dritten oder vierten Preis immer gut sind. So kommen sie durch die Welt mit einem ganz begrenzten Repertoire, denn die Anforderungen ähneln sich überall.

Zermürbt diese Inflation der Wettbewerbe nicht das ganze Musikleben?

Schlimmer ist eigentlich noch, was ich an den Musikhochschulen beobachte: Früher hat man dort in Ruhe Musik studiert; heute bereitet man die Schüler auf Wettbewerbe vor. Und wissen Sie warum? Weil beim Herrn Professor X der Marktwert für Privatstunden beträchtlich steigt, wenn er so und soviele Schüler namhaft machen kann, die hier und dort mal Preise eingeheimst haben. Und wenn Sie dann daran denken, wieviele Japaner immer noch nach Europa strömen, um hier an der Quelle ihre Musik einzusaugen. Da, muß ich sagen, war die frühere Sowjetunion vorbildlich. Jetzt wackelt es da auch schon. Nein, die hatten eine vorzügliche Nachwuchsförderung, schon früh und neben der normalen Schule. Die besten, die dann am Ende aus den Musikhochschulen auserwählt wurden, haben dann regelmäßig die großen Preise eingespielt. Aber das Schöne daran: Wenn sie den Preis hatten, gingen die erstmal wieder zurück und für vier, fünf Jahre in die Meisterklasse. Bei uns dagegen stolpern die mit zwanzig Jahren sofort in die Karriere und gehen verloren. Die sind einfach zu jung.

Wie alt ist der jüngste Teilnehmer in Bremen?

Wir hatten eine Pianistin, die ist sechzehn.

Der Bremer Klavierwettbewerb ist jetzt in seinem sechsten Jahr. Welchen Ruf hat er sich denn inzwischen erworben in der Welt?

Nun, es ist natürlich immer noch ein junger Wettbewerb. Aber wir haben ausgezeichnete Talente gehört. Ich war überaus angenehm überrascht. Glauben Sie mir, es gab Momente in diesem Wettbewerb, wo ich Gefahr lief, Tränen in die Augen zu bekommen.

Nach zwanzig Jahren als Juror?

Sie können hundert Jahre in Jurys herumsitzen und immer noch was erleben. Nein, ich find's immer erfreulicher, wieviele junge Leute doch immer noch nachkommen, von irgendwoher, und plötzlich sind sie da.

Da Sie selber konzertiert haben: Wie würden Sie sich selber einordnen im Vergleich? Besser? Schlechter?

Ach du meine Güte, da müßte ich wieder ganz schön üben, um mit denen mithalten zu können.

Fragen: Manfred Dworschak