Digital aus dem Glaspavillon

■ Kommerzfunker im Norden reagieren nervös auf N-Joy-Radio, die fünfte Hörfunkwelle des NDR

Man stelle sich vor: Bei der Präsentation eines neuen Kommerzradios verteilen öffentlich-rechtliche Sender ein Protestflugblatt und inszenieren ein Happening vor dem Studio – das Wutgeheul der Springer-Presse wäre ihnen sicher gewesen. Genau dieses Spektakel organisierten die Kommerzsender FFN aus Niedersachsen, RSH aus Schleswig-Holstein und Radio Hamburg, als der Norddeutsche Rundfunk kürzlich sein neues fünftes Hörfunkprogramm präsentierte.

Die Hysterie der Konkurrenz ist verständlich, richtet sich das N-Joy-Radio des NDR doch an die Kids zwischen 14 und 19 Jahren. Diese Zielgruppe interessiert die werbetreibende Wirtschaft, sind sie doch die KonsumentInnen von morgen. Der neue NDR-Sender darf zwar keine Werbung ausstrahlen, wird aber die Einschaltquoten bei den Privaten drücken und damit die Werbeeinnahmen. NDR- Intendant Jobst Plog amüsierte dieses „Maß an Nervosität“ der Konkurrenz, hatten die Kommerziellen doch bei Sendebeginn in den 80er Jahren dem NDR in Anzeigen noch geraten, „jetzt ganz tapfer zu sein“.

Ab 1. April nächsten Jahres um 4 Uhr 44 sollen die Kids von N-Joy Radio „was um die Ohren kriegen“, so die flotte Ankündigung Plogs, das Programm soll aber „kein Musikghetto für Ignoranten werden“, sondern ein intelligentes Kopfradio“. Für den Projektleiter Torsten Engel geht es darum, schnell und aktuell zu sein: „N-Joy Radio, das bedeutet Spaß und Tempo.“ Das 24-Stunden-Programm soll von nur acht festen und 20 freien MitarbeiterInnen gemacht werden; dazu benutzt man modernste Digitaltechnik. Im „Computer Aided Radio“, das aus dem Funkhaus in einen Glaspavillon im Stadtteil Winterhude ausgelagert wird, sollen die RedakteurInnen neben den journalistischen auch die technischen Aufgaben übernehmen. Und das kostenneutral: Denn für den Jugendsender kann die Rundfunkgebühr nicht erhöht werden, Werbefinanzierung ist durch den NDR- Staatsvertrag ausgeschlossen.

Deshalb muß das Programm „nicht durch additive Mittel, sondern kreatives Personal verwirklicht werden“, so der Intendant. Der Programmdirektor des NDR- Hörfunks, Gernot Romann, veranschlagt für N-Joy-Radio rund fünf Millionen Mark im Jahr. Diese sollen durch Einsparungen in allen Bereichen des NDR hereinkommen. Dem Sender geht es mit dem neuen Projekt aber nicht nur um die Heranwachsenden, laut Intendant Plog will sich der NDR damit „fit für den Rest des Jahrtausends“ machen. Dabei sei dies nicht gerade ein Pilotprojekt zur grundlegenden Veränderung der bisher im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geltenden Arbeitsbedingungen, aber schon ein Teil der „zukunftsorientierten Planung“. Das gesamte Projekt sei deshalb in Übereinstimmung mit dem NDR-Personalrat entstanden.

Darüber hinaus will der NDR sein neues Programm der privaten Konkurrenz als Mantelprogramm anbieten. Sender, deren Programm zeitlich und räumlich begrenzt sei, wie etwa Lokalradios, könne man sich als Kunden vorstellen, so Plog. Dabei habe der NDR keine Berührungsängste zu kommerziellen Partnern — so wie der Westdeutsche Rundfunk (WDR), der am Mantelprogramm „Radio NRW“ für die kommerziellen Lokalradios des Landes mit rund 25 Prozent beteiligt ist.

Ob beim neuen NDR-Programm mehr als die Kopie der kommerziellen Dudelsender herauskommt, computergesteuerte Hits mit ein paar Infoschnipseln, bleibt fraglich. Die Entwortung des Hörfunkprogramms NDR 2 in den letzten Jahren läßt da jedenfalls nicht viel Hoffnung, auch wenn 25 Prozent Wortanteil an einem „Regeltag“ angekündigt werden. Projektleiter Engel versprach, daß der Sender keine „Musikabspielstation“ sein werde, bot über das Programm aber nur Nebulöses. So solle es nach 19 Uhr „Forum“ geben, eine Sendung mit Hintergrundinformationen, wie etwa beim „Brennpunkt“ im Fernsehen der ARD. Allerdings zeigen Untersuchungen, daß um diese Zeit kaum jemand noch Radio hört. Die Kommerziellen bringen deshalb ihre längeren Wortsendungen auch um diese Zeit. Mit dem N-Joy-Frühmagazin will Engel „die Leute so in den Morgen schicken, wie sie es brauchen und wie sie es verdienen“. Den naßforschen Tonfall der kommerziellen Konkurrenz beherrscht der dreißigjährige Berufsjugendliche allemal. Philippe Ressing