In Erwartung einer engen Umarmung

■ Ohne Rücksicht auf Verluste verstärkt China den Druck auf Hongkong Peking läßt Zeitungen aufkaufen, Anzeigen verweigern und Journalisten verhaften

Hongkong (taz) – Zum 1. Oktober 1993, dem 44. Jahrestag der Gründung der VR China, freute sich der Direktor der Nachrichtenagentur „Neues China“ in Hongkong, Zhou Nan, darüber, daß Hongkong nun bald „in die Arme des Mutterlandes“ zurückkehren werde.

Ob die Freude des offiziellen Vertreters der VR China in Hongkong über diese Umarmung von der hiesigen Bevölkerung geteilt wird, darf bezweifelt werden. Doch der Optimismus der Herren aus Peking, die Herzen der verlorenen Söhne und Töchter zurückzugewinnen, die einst vor dem Kommunismus in die britische Kolonie geflohen sind, ist ungebrochen.

Wenn da nur nicht immer die Briten im Wege stehen würden. Allen voran der widerspenstige Gouverneur Chris Patten und seine Reformvorschläge zur Demokratisierung Hongkongs, die er vor wenigen Tagen noch einmal bekräftigte – trotz der Pekinger Andeutungen, die Kolonie möglicherweise auch schon vor dem vereinbarten Termin 1997 zurückholen zu wollen. Nachdem Anfang dieser Woche klar wurde, daß auch die 13. Runde der Gespräche über Pattens angekündigte neue Wahlordnung ergebnislos blieb und der Chefverhandler Pekings, Jiang Enzhu, erklärt hatte, es sei „keine große Sache“, wenn man zu keiner Einigung käme, fuhr Patten wieder einmal aus der Haut: Er stellte die Frage die „Aufrichtigkeit“ von Leuten in Frage, die „sagen, daß es unwichtig ist.“ Wenige Tage zuvor hatte Patten – nach monatelangem Hin und Her– in seiner jährlichen Regierungsansprache vor dem Legislativrat erklärt, das die Zeit für eine Einigung knapp werde. Sonst werde er seine Pläne auch ohne Zustimmung Pekings durchsetzen, so die Implikation.

Ärgernis für Peking: Hongkongs Presse

Und wenn da nicht auch noch die „noch freie Presse“ in Hongkong wäre mit ihren ständigen Berichten und Kommentaren zu Fragen der Menschenrechte und Kaderfilz in China. Doch Peking ist seit längerem dabei, für Abhilfe zu sorgen.

Die Übernahme Hongkongs durch die VR China schreitet voran. Man schätzt, daß der Immobilien-, Finanz- und Wirtschaftssektor Hongkongs bereits zu über einem Drittel von Firmen aus der VR China kontrolliert wird. Auch die Presse ist davon nicht mehr ausgeschlossen. Peking versucht durch Ankauf und Druck, alle kritischen Stimmen in Hongkong zum Schweigen zu bringen.

Als die Zeitschrift The Nineties über mehrere Korruptionsskandale berichtete, in die die KP Chinas verwickelt war, durften Firmen der VR China nicht mehr in der Zeitschrift annoncieren, Firmen mit Beziehungen zu Peking erhielten Anweisung, der Zeitschrift keine Büroräume zu vermieten.

Im letzen Jahr kauften Hongkonger Firmen mit engen Beziehungen zu Peking mehrere chinesischsprachige Zeitungen auf.

Die in Hongkong erscheinende South China Morning Post (SCMP, Auflage 110.000) ist eine der größten und angesehensten englischsprachigen Zeitungen der Region. Bislang hat sie stets kritisch abwägend über die Ereignisse in China berichtet. Ihre Informationen waren überaus zuverlässig. Mitte September wurden 34 Prozent der Anteile an Robert Kuok Hock Nien, einen malaysischen Geschäftsmann chinesischer Herkunft verkauft. Der demnächst neue Vorsitzende der SCMP- Gruppe ist kein Unbekannter: Robert Kuok gehört zu den Großinvestoren in der VR China.

Ihm gehört unter anderem die große Hotelkette Shangri-La, Ölraffinerien und Coca-Cola-Fabriken in China. 1992 erhob ihn Peking in den Rang eines offiziellen „Beraters in Angelegenheiten Hongkongs“. Kuok hat exzellente Beziehungen zur chinesischen Führungsspitze. Kurz nach dem Massaker vom 4. Juni 1989 in Peking sorgte er als Direktor des Hongkonger Fernsehkanals TVB dafür, daß Ministerpräsident Li Peng ein Interview im Hongkonger Fernsehen gewährt wurde. Die Bank of China, so heißt es, soll den Kauf der SCMP finanziell unterstützt haben.

Daß der Kauf sich sehr schnell in politisches Wohlverhalten der Zeitung umsetzte, zeigte sich schon am ersten Tag: Vor etwa anderthalb Monaten hatte die Zeitung auf der ersten Seite einen Bericht aus Peking veröffentlicht, der sich auf drei voneinander unabhängige Quellen in der VR China berief.

Danach sollen bis August 1993 29 Milliarden US-Dollar von höheren Angestellten der Bank of China veruntreut und rund 10 Milliarden davon ins Ausland geschleust worden sein. Peking dementierte, doch stimmt es nachdenklich, daß kurz zuvor der Direktor der Bank of China, Li Guixian, abgelöst wurde. Die Hintergründe dieser Ablösung müssen offenbar so gravierend gewesen sein, daß kein Geringerer als der Stellvertretende Ministerpräsident Zhu Rongji den Posten selbst übernahm.

Ach, wäre dieser Beitrag niemals gedruckt worden

Am Tage des Verkaufs von 34 Prozent der South China Morning Post veröffentlichte die Zeitung nun auf der ersten Seite und an oberster Stelle ein langes Dementi in Fettdruck, in dem sie alle in dem Bericht aufgestellten Behauptungen ohne Einschränkung widerrief. Reumütig erklärte sie, es wäre ihr nichts lieber, als daß dieser Beitrag niemals gedruckt worden wäre, und kündigte auch noch eine große Spende an.

Nach sicheren Informationen war das Dementi die Bedingung für den Abschluß des Vertrages gewesen. Die Spende, 2,5 Millionen Hongkong-Dollar (rund 550.000 DM), ging an drei volksrepublikanische Banken und einen höheren Bankangestellten.

Ein Sprecher der Nachrichtenagentur Neues China in Hongkong äußerte nach dem Kauf die Hoffnung, daß die South China Morning Post von jetzt an keine Artikel mehr drucken werde, die dem Ansehen der KP Chinas schaden könnten. Ein Beitrag der unabhängigen Liberalen und Mitglied des Gesetzgebenden Rates in Hongkong, Christine Loh, über Pressefreiheit in Hongkong wurde von der SCMP inzwischen abgelehnt. Christine Loh hat eine feste Kolumne in der Zeitung und die feste Zusicherung, alles schreiben zu können.

Nicht abgelehnt wurde dagegen der Beitrag des prochinesischen Kolumnisten Tsang Yok-Sing: Darin warf er Patten vor, kein Chinesisch zu können und nichts von chinesischer Literatur zu verstehen, denn sonst hätte sich der Gouverneur nicht über eine literarische Metapher aufgeregt, in der eine Schanghaier Zeitung ihn mit einer Prostituierten verglich.

Andere Presseorgane werden ebenfalls unter Druck gesetzt: Journalisten aus Hongkong bekommen nur in Ausnahmefällen ein Einreisevisum in die VR China. Wenn das nicht hilft, wird eingeschüchtert: Am 28. September verhaftete die Polizei in Peking den Reporter Xi Yang von der angesehenen Hongkonger Zeitung Ming Pao unter dem Vorwand der „Ausspionierung von Staatsgeheimnissen mit Bezug auf Banken“. Kein Journalist in der VR China weiß, was von den Behörden in Peking unter Staatsgeheimnissen verstanden wird. Es ist ein beliebig dehnbarer und je nach Belieben des Regimes anwendbarer Begriff. Xi Yang wurde seit seiner Verhaftung nicht mehr gesehen. Proteste aus Hongkong blieben ohne Ergebnis. Werner Meißner