Staatsanwalt von taz genervt

■ Im Prozeß um die Brandstiftung auf die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen sorgte taz-Bericht für Tumult / Anschließend wurde Gutachten über Angeklagten verlesen

Potsdam (taz) – Die taz-Veröffentlichung über ein psychiatrisches Gutachten im Sachsenhausen-Prozeß sorgte gestern in der Verhandlung vor dem Potsdamer Bezirksgericht für Aufregung. Vor Beginn des Prozesses beugten sich die beiden Staatsanwälte interessiert über die Zeitungsseite, Journalisten kopierten sich den Artikel. Die taz hatte bereits vorab Informationen über das Gutachten von Rechtsanwalt Klaus Wendland erhalten. In der schriftlichen Expertise ist festgehalten, daß der Angeklagte Ingo K. schwachsinnig sei und einen Intelligenzquotienten von 58 habe. Die Norm liegt bei 90 bis 110. Wendland zog aus dem Gutachten den Schluß, daß sein Mandant schuldunfähig sei.

Staatsanwalt Lenz monierte zu Beginn der Sitzung, daß ein Gutachten, das in der öffentlichen Verhandlung noch nicht vorgetragen wurde, schon vorher in der Zeitung zu lesen sei. Mit diesem Artikel sei die Unabhängigkeit des Gerichts gefährdet. Zudem verwahrte er sich gegen Äußerungen Wendlands, die der Anwalt gegenüber der taz gemacht hatte. Wendland hatte gefordert, daß aufgrund der schlampigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft jetzt „Köpfe rollen müssen“. Der Anwalt zielte mit dieser Forderung auf die Ablösung von Staatsanwalt Lenz, der für die Ermittlungsfehler verantwortlich sei. Wendland bestritt darauf, sich so gegenüber der taz geäußert zu haben. Der Vorsitzende Richter Przybilla empfahl, bei Fehlverhalten des Anwaltes die Anwaltskammer einzuschalten. Für „unseriöse Berichterstattung“ sei der Presserat zuständig, fügte er hinzu. Im Zuschauerraum wurde nach dieser Aussage laut protestiert. Der gereizte Richter verbat sich derartige Tumulte und drohte mit Ausschluß der Journalisten. Staatsanwalt Picard beantragte im Anschluß, den Verteidiger Wendland aufgrund seiner Äußerungen gegenüber der taz zu entpflichten, da sein Verhalten nachteilig für seinen Mandanten sei. Zudem wurde der taz-Artikel zu den Prozeßakten gelegt.

Im Anschluß trug die Ärztin Heike-Ulrike Jähnig von der Charité das Gutachten vor. Sie bestätigte, daß Ingo K. schwachsinnig und „mittelgradig debil“ sei. Zudem sei der Angeklagte Ingo K. leicht beeinflußbar und würde erheblich nach Anerkennung streben. Sie schloß eine frühkindliche Hirnschädigung nicht aus. In der Frage der Glaubwürdigkeit und Schuldhaftigkeit legte sich die Gutachterin nicht fest. „Ich muß das dem Gericht überlassen, wie es die einzelnen Bewertungen in das Urteil einbezieht“, sagte Jähnig. Die Staatsanwaltschaft beantragte ein zweites Gutachten, das speziell die Glaubwürdigkeit untersuchen soll. Anja Sprogies