Betr.: Berichterstattung zum Putsch in Rußland

[...] Wenn Euer Moskau-Berichterstatter schreibt, daß das Referendum vom April 93 eine schallende Ohrfeige für die Volksdeputierten war, so ist das nur die halbe Wahrheit: Jelzin erhielt zwar mehrheitlich das Vertrauen, aber es wurde auch mehrheitlich entschieden, daß weder Parlaments- noch Präsidentenwahlen notwendig sind (dafür stimmte nur eine Minderheit von 31,7 Prozent bzw. 43,1 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von über 60 Prozent). Auch das Referendum des Volkes gibt Jelzin (neben der Verfassung, die man ja nach Eurer Lesart durchaus verletzen kann, weil sie noch von vorgestern ist), nicht das Recht, den Volksdeputiertenkongreß aufzulösen; erst danach kam es zu Blutvergießen. Wenn Jelzin kompromißbereiter und toleranter gewesen wäre (natürlich auch seine Gegner), dann wäre wohl Blutvergießen vermieden worden. Aber Jelzin suchte und provozierte genauso die Auseinandersetzung nach dem Motto: Bist du nicht willig, dann brauch' ich Gewalt.

Der deutsche Blätterwald feiert den Sieg des „Demokraten“ Jelzin; ich bedauere den Sieg der „politischen Unkultur“ in Rußland. [...] Karl-Heinz Gräefe, Dresden