Krach durch Freude

Ziemlich laut und nicht unbedingt originell: Das R.A.M.M.-Theater flimmert mit dem obligatorischen Fernseher durch die Kulturruine Tacheles. Die heftigen Körperbewegungen von „Kärlek mich“ sah  ■ Peter Laudenbach

Das R.A.M.M.-Theater wendet sich nach seiner angewandten Stauforschung den Freuden des Ehekrieges zu: „Kärlek mich“, die neue Performance klärt, bzw. kärlekt nicht unbedingt die Wirren der Seelen: Strindberg für Fortgeschrittene.

Wie meistens bei den Damen und Herren aus der härteren Abteilung des Berliner Theateruntergrunds bleibt dem Zuschauer auch diesmal ein Sitzplatz erspart: Im Theaterraum des Tacheles steht das Publikum zwischen zwei Gitterwänden, zunächst im Halbdunkel: über den Köpfen flimmert der obligatorische Fernseher, der zwar völlig unnötig ist, aber mittlerweile wohl irgendwie zum Standard progressiven Theaters gehört. Eine freundliche Stimme fordert die Zoo-Besucher auf, „bitte nichts in die Gehege zu werfen“. Hinter den Gittern lauern die Bestien.

Es gibt zwei Sorten davon: Ein Herr und eine Dame im abgewetzten Schlafrock dösen in den Ecken im runtergekommenen Bürgerambiente: Sessel und Lampe. Zwischen ihnen die Gitter und das Publikum. Dazu kommen, ebenfalls in den Käfigen, die Lemuren des Chores. Sie liefern hübsch gewalttätige Bilder und Geräusche, unterlegt vom liberal aufgeweichten Punk und dem leicht angeschrägten Jazz der Band. Die Dame, monoton und immer schneller werdend, gibt ein Stakkato des Eheunglücks, weibliche Version, von sich: „Kochen-putzen-ficken-aufräumen-kochen-putzen-ficken- aufräumen“. Das sind Neuigkeiten! Später wird sich ein anderes Paar am Gitter hängend einen überhitzten Standarddialog liefern: „Hör mir zu!“/„Du sollst mich ausreden lassen“ ... Ziemlich laut, nicht unbedingt originell.

Aber scharfsinnige Analysen und unnötige Feinheiten sind sowieso nicht das Ziel der Gruppe. Eine Ohrfeige für den ohnehin schon ziemlich welken psychologischen Realismus, ein Todessstoß dem bürgerlichen Theater! Ha! Naja. Statt dessen: Heftige Körperlichkeit, archaisierende Gewalt und logischerweise eine größere Dosis Blut, Schweiß und Tränen. Das ist von einiger Kraft und, leider, mittlerweile von einiger leerer Beliebigkeit: Krach durch Freude.

Dieser späte Ausläufer eines Theaters der Grausamkeit hat R.A.M.M. zur einzig wirklich interessanten Berliner Off-Gruppe gemacht. Nur: Mittlerweile läuft die blinde Energie leer, die Heftigkeiten haben Patina angesetzt. Man wird während des ganzen Abends das Gefühl einer seltsamen Verspätung nicht los. „Das war vor Jahren“, möchte man den schwitzenden Underground-Artisten zurufen. Gelegentlich grandiose Bilder, eine überhitzte Intensität. Ansonsten lauter hübsche Zirkusnummern und doch kein bestürzendes Erlebnis, bloß Menschen, Tiere, Sensationen. Die Chor-Lemuren stürmen immer mal wieder die bedrohlich wankenden Gitter. Zwei Herren balancieren brennende Fackeln auf dem kahlgeschorenen Schädel.

Ein Herr klemmt sich die Brustwarze mit Wäscheklammern ab – ein witziger Sado-Maso-Comic. Der Chor kniet vor Wassereimern, taucht die Haare ins Wasser und schleudert damit das Wasser in die Luft. Man benutzt an den Wänden hängende Silbertabletts und den eigenen Schädel als Musikinstrument, ein Körperxylophon sozusagen. Später zertrümmert eine Dame mit der Axt einen Kürbis, einen Kohlkopf und schließlich eine Packung H-Milch, aus der klebrige rote Farbe quillt. Das Pseudoblut läßt sie sich über den Körper laufen und fährt sich mit der Axt die nackten Arme entlang. Very nice.

Nur ist es halt doch nur ein Spiel mit Theaterblut, die Kopie eines irgendwie archaisch gemeinten Rituals. Zunächst ist man shocking gekitzelt, aber dann fragt man sich sofort, wie die Schauspielerin das Zeug wohl wieder aus ihren langen Haaren bekommen wird. Die Zirkusnummern besitzen immerhin einen rüden Charme und die Kraft des Primitiven: Art brut, yeah: Die Texte aber, die zur Musik geliefert werden, offenbaren, welch trübe ideologische Suppe hinter den Übungen wabert: Während die Girls im knappen Schwarzen lasziv vor sich hintanzen, dröhnt es dumpf „Fleisch-Liebe-Opfer ...“ Solche Blut-und-Hoden-Lyrik war schon beim Wiener Aktionisten- Metzger Nitsch, dem unerreichten Häuptling des Genres, bloß ein seichtes Provokatiönchen.

Später bekommt man dann zu hören, daß sich die Herrschaften für die „Trümmer der Zivilisation“ halten, dabei liefern sie doch nur lustige Abendunterhaltung im urbanen Raum: Spiel, Spaß, Kinderüberraschung. Skol! Peter Laudenbach

Weitere Vorstellungen: Bis 24. 10., tägl. außer Mo, um 21 Uhr im Tacheles, Oranienburger Str. 53-56