Ventil sexueller Wünsche

■ Klosprüche zwischen Geistlosigkeit und Rassismus / Produzent der Filzer verrät Formel nicht / Blau-rotes Karree gegen Dichtkünste in der Hocke

Doris findet den Akt als solchen einfach unwürdig. Um dieses gleichwohl unvermeidlichste aller Bedürfnisse etwas erträglicher zu gestalten, greift sie zum Filzer: für einen Klospruch aus der Hocke. Er vermag, findet die Germanistikstudentin, von der Tristesse des Lokus etwas abzulenken. Gerade die beachtliche Geistlosigkeit vieler Sprüche verleitet sie zum Gegen- Kommentar. So manch angeregte Diskussion hat sie in der Abgeschiedenheit eines Wasserklosetts schon bestens unterhalten.

Was für den einen Ablenkung und Teil der Uni-Kultur, ist für den anderen der Beginn von Unkultur. „Die Vandalismusspirale dreht sich“, urteilt der Pressesprecher der Freien Universität, Christian Walther, über die Verwahrlosung. Sogar Studenten würden sich oft nicht mehr wohl fühlen. Die geistige Reichweite der Klosprüche sei nicht sehr groß, ganz zu schweigen von sexistischen oder rassistischen Äußerungen. „Die Wahrscheinlichkeit des Denkmalschutzes“, meint Walther, „ist dabei relativ gering.“ Also rückt die Univerwaltung vor Beginn jedes Semesters den geistigen Ergüssen mit Pinsel und Farbe zu Leibe. Und das nicht mehr wie ehedem allein mit deckendem Weiß oder harten Chemikalien.

Man nahm Kontakt zur Firma „Edding“ auf. Deren haftfeste Stifte sind das Handwerkszeug der Sprücheklopfer auf der Toilette. Detlev Wiesner, Bauleiter an der FU, wollte Genaueres über die chemische Zusammensetzung der bewährten Filzschreiberlinge erfahren. Mit gesundheitsverträglicheren Mitteln sollten die Sprüche entfernt werden. Doch die Firma gab sich zugeknöpft. Man habe wohl nicht das Qualitätsmerkmal der Produkte, ihre Haltbarkeit, gefährden wollen. Nun läßt der Bauleiter die allzu hartnäckig beschmierten Türen bunt bemalen. Das wilde, blau-rot-schwarze Muster ist kaum noch zu überschreiben. Zehn bis fünfzehn der achtzig Toiletten hat dieses Schicksal schon ereilt.

Folgt man dem Sexualwissenschaftler Konrad Sprai, könnten die eingeschränkten Möglichkeiten der Verbalisierung auf dem WC beunruhigende Folgen haben. Für Sprai sind Klosprüche die verbale Manifestation sexueller Bedürfnisse, die sich auf der Toilette durch das Berühren der Genitalien entzünden. „Angesichts sinkender Promiskuität im Zeitalter von Aids“, sagt Sprai, „werden Klosprüche zum wichtigen Ventil für angestaute sexuelle Wünsche.“ Düstere Zeiten also? Gefährdet die Bemalung das verbale Abreagieren? Mitnichten. Im Henry- Ford-Bau, Herrentoilette, gibt man sich entschlossen: „Und wir schreiben trotzdem was“, hat jemand in eine Lücke zwischen die blau-roten Pinselstriche gedrängt. Und Michael, alteingesessener Klosprücheschreiber, sieht die Entwicklung mit Gelassenheit: „Dann kleben wir halt Etiketten und beschriften die.“